Savage Worlds - RunePunk

Für Savage Worlds sind über die Jahre eine ganze Reihe von Settings erschienen. Anders als bei D&D 3 wurde das Regelsystem aber nicht komplett für alle geöffnet. Vielmehr müssen angehende Autoren mit ihren Konzepten zu Pinnacle und diese absegnen lassen, bevor sie die Regeln nutzen können. Sean Preston gelang dies bereits 2006, womit RunePunk eines der ältesten Savage Worlds Produkte überhaupt ist. Kann es 2011 immer noch den Anforderungen heutiger Settings genügen? Schauen wir uns das Buch einmal genauer an!

Das Cover sieht zunächst nicht sonderlich vielversprechend aus. Ein Gentleman mit Zylinder, Frack und glühendem Schwert kämpft gegen einen Mann mit Brille, Bronzerüstung und Pistole vor einer Kathedrale. Handwerklich nicht sonderlich überzeugend, wie leider auch die restlichen Illustrationen. Diese sind oftmals schlicht hässlich und nicht selten fragt man sich, was man da eigentlich gerade betrachtet. Auch das Layout ist fragwürdig, etwa weil Kapitelüberschriften in der oberen Zierleiste stehen, was oftmals übersehen wird. Sowieso schmeißt RunePunk mit Überschriften und Untertiteln um sich wie verrückt: zehn bis zwölf Überschriften pro Seite, gerade bei den Beschreibungen der Distrikte sind da keine Seltenheit. Sowieso wird das Buch in Sachen Übersichtlichkeit oder Ordnung keinen Preis gewinnen. Verschiedene Regelabschnitte, Gegnerwerte und Ortsbeschreibungen finden sich an den seltsamsten Stellen, was durch den fehlenden Index noch ein paar Mal schlimmer wird. Vom optischen Eindruck also eher ein Produkt, dass man im Laden seines Vertrauens nach dem Durchblättern wieder in den Schrank zurückstellt.

Was RunePunk nun nach all den Jahren noch so interessant macht, ist das Konzept der urbanen Fantasy. Wenn man zuerst durch das Buch oder das PDF blättert, dann könnte man es für Steampunk halten und tatsächlich bedient sich das Setting vieler dieser Elemente. Im Kern ist es aber ein Fantasy-Spiel, das nicht in Höhlen, Königreichen und Wäldern spielt, sondern in Kanalisationen, Fabriken und verfallenen Distrikten. Was erst einmal banal klingt, ist jedoch schwierig umzusetzen, wie viele andere Mitbewerber auf diesem Feld beweisen. Es ist schon etwas anderes, ob man in einem Fantasyrollenspiel ein Abenteuer in einer Stadt erlebt, oder wenn das Setting nur aus einer riesigen Stadt besteht!

Ähnlich wie bei Ravenloft sind die Grenzen der Stadt Scatterpoint durch ein Naturphänomen nicht zu durchdringen, wenn hier statt Nebel Runenstürme diese Rolle übernehmen. Diese unnatürlichen Phänomene sind hochgefährlich, dienen bisweilen als Portal zu anderen Welten und zerstören oft ganze Landstriche, einzig spezielle Runentürme sichern Bereiche der Stadt, in denen dann auch die meisten Bewohner leben. Dazwischen befinden sich plünderbare Ödlande voller zerstörter Gebäude, wild wachsenden Ranken und Halbdämonen. Diese Malakar genannten Hybride stellen eine der spielbaren Rassen dar und heben sich wie die anderen Rassen angenehm von bekannten Fantasy-Klischees ab. Die Andari sind unsterbliche Menschen, die durch Magieunfälle verändert wurden und nun halb in der Geisterwelt existieren. Die Ferren sind kleine Rattenmenschen, welche die zahlreichen Maschinen der Stadt am Laufen halten, in denen die Halbgolem-Arbeiter der Overwrought ausgebeutet werden. Da diese Rassen nicht nur ziemlich abgefahren sind, sondern neben grundlegenden Vorteilen auch noch bessere Rassen-Talente erstehen können, wurden die Menschen entsprechend auch ein wenig aufgewertet und angeglichen. Wobei ausgeglichen eher ein Näherungsbegriff ist…

Als RunePunk erschien war Savage Worlds noch frisch und die aktuelle Regeledition kann es natürlich nicht abbilden. Dennoch runzelt man als Kenner des Regelsystems bisweilen die Stirn, sei es auch nur über die große Macht der Magier: Runenzauberer, Erfinder und Schattenpriester haben gegenüber mundanen Charakteren klare Vorteile, etwa durch sehr mächtige Vertraute. Das wird nur bedingt durch die bisweilen sehr mächtigen Rassentalente ausgeglichen. Deutlich wird die relative Unerfahrenheit mit dem System auch bei den Gegnern, deren Werte oftmals schlicht nicht korrekt sein können. Auch bei der Kampagne und den Einzelabenteuern hat man oftmals den Eindruck, die Autoren wären mit der Einstellung herangegangen ein Abenteuer für Dungeons & Dragons zu schreiben. Das beginnt bei der Konzentration auf kämpferische Auseinandersetzungen bei praktisch jedem beschriebenen NSCs der vorkommt, bis hin zu seltsamen Entscheidungen wie etwa einen einzelnen Gegner als passenden Antagonisten für eine ganze Gruppe von Helden einzusetzen. Und wenn einer der riesigen Erzdämonen der Stadt dann Werte wie ein Spielercharakter auf Veteranenrang hat, dann läuft halt etwas falsch…

Die Plot-Point-Kampagne ist episch, ändert allerdings nicht die Spielwelt wie in vielen anderen Settings zu Savage Worlds. Während der Start noch sehr frei gestaltet ist, geht es etwa ab der Mitte nur noch darum, bei einem NSC einen Auftrag abzuholen, diesen zu erfüllen und damit die nächste Mission freizuspielen. Damit werden die Helden leider zu reinen Laufburschen, während NSCs Geheimnisse ergründen. Auffällig ist auch der enorme Machtzuwachs während der Kampagne, denn die gefundenen Mysterien verschaffen den Spielercharakteren nicht nur Macht über den Tod, sondern ermöglichen ihnen auch eine ziemlich uneingeschränkte Beweglichkeit. Beides führt zu reichlich absurden Szenen, da man mit dieser Macht viele angedachte Plots einfach umgehen oder aushebeln kann. Bis man alleine mit dem Abenteuermaterial der Kampagne und den allgemeinen sowie nach Stadtdistrikten sortierten Einzelabenteuern durch ist, sollten ein paar Dutzend Spielabende vorbei sein. Spätestens dann kommen die hervorragenden Abenteuergeneratoren ins Spiel, mit denen man im Handumdrehen spannende Plots und Konflikte zusammenbauen kann.

RunePunk ist vielleicht mein Lieblingssetting für Savage Worlds geworden, während ich es sowohl als Spieler und dann später als Spielleiter erleben konnte. Der Ansatz der tatsächlich stimmigen urbanen Fantasy macht es einzigartig, so dass man gerne über die gestalterischen und regeltechnischen Mängel des Buches hinwegsieht. Ich kann jedem nur empfehlen sich RunePunk einmal anzusehen und diesem wirklich cleveren und stimmigen Setting eine Chance zu geben!

P.S.: Auf der Website von Reality Blurs gibt es mit dem Primer einen ausführlichen und kostenlosen Einblick in das Buch und Setting, sowie viele andere Goodies.
Für 2012 ist aktuell eine aktualisierte Neuauflage des Buches geplant, die viele Kritikpunkte beseitigen soll.


Titel: RunePunk
Autor: Sean Preston
Verlag: Reality Blurs
ISBN: 0976360144
Seitenzahl: 192 farbig, Hardcover (6,58 MB)
Sprache: englisch
Preis: digitale Version 24,99 US-Dollar, Printversion 34,99 US-Dollar{jcomments on}