Vampire - The Requiem - Ordo Dracul
„The dragon coils on preparation for its strike.
It is fearsome and strong, but not so much as it is wise.
With each lesson it learns it becomes better prepared and its coils tighten still further.“
vom Backcover von Ordo Dracul
Doch dezente Vorfreude wisch (zeitweise) grimmen Entsetzen, als ich das Buch in der Hand hatte, denn das Cover ist das mit Abstand furchtbarste Bild, das bisher einen der neuen Bände geziert hat. Ja, es geht hier um die Dracula-stämmigen Vampire, ja, klassische Themen sind cool – aber dennoch, der kahlgeschorene Pseudogoth mit den spitzen Zähnen, der sich hier lasziv über eine ohnmächtige Frau in seinen Pranken bäugt, aus deren Hals kleine Blutrinnsale tropfen ist eine Zumutung. Das Bild von Alex Maleev ist offenbar eine Photobearbeitung und weckt in mir die Erinnerungen an wenig rühmliche MET-Bücher der alten Generation und furchtbare Trash-DVDs aus der Grabbelkiste. Davon, dass die Dragons auch Wissensbewahrer, Forscher und Hüter uralter Geheimnisse sind, ist diesem Vertreter hier nichts anzumerken.
Wenn auch, das sei nicht verschwiegen, andere Produktionsqualitäten wie der matte Druck mit den eingepassten Glanzelementen, natürlich auch beim vorliegenden 230-Seiten starken Hardcover gegeben sind.
Der optische Schock geht noch weiter. „Lancea Sanctum“ hatte einen vorgesetzten Atmosphäre-Text von Greg Stolze. Der war nicht auf das normale Papier gedruckt, sondern statt dessen in brauner Tinte auf ein hellbraunes Papier gedruckt, was einen Pergament-Eindruck erzeugte und sehr stimmungsvoll war.
„Ordo Dracul“ hat auch so einen Vorsatz, diesmal in der Farbe rot. Na, schon gemerkt? Richtig, das hellere Rot, auf dem der Text arrangiert ist, ist im Druck vielmehr zu einem Rosa geworden und erzeugt so alles, aber keine gute Atmosphäre. Rosa ist weißgott nicht die Assoziation, die ich bisher mit den Dragons hatte.
Aber gut, der Schock legt sich über den Rest des Buches etwas, denn das Innenartwork ist wie gewohnt oberste Spitzenklasse. Plastische Bilder, detaillierte Zeichnungen und oft genug auch ein existierender Bezug zu den im Text besprochenen Sachverhalten machen diesen Teil des Buches einmal mehr zu einem Genuss.
An einer satten Abwertung kommt das Buch mit seinem Cover und dem rosafarbenen Sondervordruck aber ganz sicher nicht vorbei. Pfui!
Fünf Kapitel, Einleitung und Appendix erwarten den Leser – nichts Neues auf der strukturellen Seite also, auch kein sechstes Kapitel, wie im „Sanctum“. Die Einleitung bietet zunächst mal die gewohnten „Theme/Mood“-Abhandlungen, dann aber auch noch ein paar nette Ergänzungen.
So pflegen die Mitglieder des Ordo Dracul offenbar eine Art Liste geheimer Bedeutungen, die Meister ihren Schülern ohne deren Wissen durch deren Titel mit auf den Weg geben können. In Deutschland kennt man das in anderer Form etwa durch den legendären „Code“ bei Arbeitszeugnissen – „...hat sich stets bemüht...“ etc.
Aber wenn man etwa weiß, das „dedicated“ bedeutet, dass der Betroffene nur ein Coil of the Dragon gemeistert hat und „...of the Fourth Darkness“ die Anweisung „Mein Herr wünscht, dass Ihr mich vernichtet“ ist, dann ist der Name „Scribe of the Dedicated Hunger and the Fourth Darkness“ plötzlich weit weniger imposant, oder?
Finde ich richtig cool, wird hier mit einer Beispieltabelle aufgeführt, aber man wird als Spielleiter auch zum Ausbau angeregt. Das ist jedenfalls mal spannender als das gewohnte Lexikon Dracul-typischer Begriffe, das es natürlich auch gibt und den Wortschatz geneigter Leser um Sachen wie „Caucus“, „chrysalis“, „Code Duello“ oder „Hungarian Marriage“ erweitert.
Es folgen zehn Seiten „History of the Ordo Dracul“. Mit diversen Illus und einer Doppelseite Einleitungsbild nebst Erzählung bleibt da zwar auch nicht wirklich viel, aber es ist interessant zu lesen. Schön sind Abschnitte wie „What did Stoker know?“, die ganz geziehlt eben den literarischen vom Requiem-Dracula trennen. Wer mehr zum Chef selber wissen will, der sollte aber selbstredend lieber „Rites of the Dragon“ lesen, da geht es ja um nichts anderes.
Das zweite Kapitel ist mit „Unlife in the Ordo Dracul“ direkt viel anwendungsbezogener. Der Titel sagt dabei eigentlich alles – hier geht es darum, wie die Gesellschaft innerhalb des Ordens aussieht, welche Verhaltensregeln, -normen und -konventionen es gibt und wie man mit dem Rest der WoD umgeht. Hier findet man dann auch viel zu den sogenannten „Wyrm‘s Nests“, die vom Orden katalogisiert und erforscht werden. Magische Knotenpunkte, die dementsprechend auch durchaus zu treffen mit Werwölfen und Magi führen dürften. Während das Buch sich über die Erwachten jedoch eher bedeckt hält, geht das Buch recht gut darauf ein, wie man so etwas den Ordo Dracul mit den Uratha crossovern kann. Doch auch Untergruppen, verbotene Forschung und andere Szenarioaufhänger werden hier auf jeder Seite präsentiert, was das Kapitel sehr nützlich macht.
Im dritten Abschnitt geht es um den „Ordo Dracul and the Danse Macabre“. „...and the Danse Macabre“ ist zwar mittlerweile ein kleiner passe-par-tout für V:tR im Allgemeinen geworden, steht hier aber für ein überaus sinnvolles Kapitel. Hier geht es um die Hierarchie und vor allem den Aufstieg innerhalb des Ordos.
Es gibt einen komplett ausgeführten Psycho-Text, der das Schicksal eines Charakters bestimmen und seinen Pfad innerhalb des Ordos aufzeigen soll. Muss man natürlich nicht ausspielen, kann man nun aber machen, was ich schön finde. Das erzeugt mehr Identifikation mit der Situation.
Dazu folgen dann Abschnitte über Gehorsam und Ungehorsam und den sozialen Status, sowohl inhaltlich weitläufig dargestellt wie auch, für Leute, die auf so etwas stehen, an die unterschiedlichen Stufen in Status Background gekoppelt, was auch hier eine direkte Anwendbarkeit am Spieltisch stark begünstigt.
Kommen wir zu Kapitel vier: „Factions and Bloodlines“. Zunächst bekommt man hier einen Überblick über veschiedene Methoden und Glaubensrichtungen, Alchemie, Pseudo-Wissenschaft, digitale Drachen, Parapsychologie, Spiritualismus und einige Grundrichtungen des Orden geboten. Danach folgen die schon aus dem Sanctumsband bekannten beispielhaften Factions, die die Covenants noch weiter unterteilen. Da sind die „Impaled“, die Dracula verehren und doch mit seinen Opfern fühlen, die sektenhaften „Sworn of the Locust“ sowie die „Sworn of the Ladder“, die durch Selbstlosigkeit und tugendhafte Gedanken versuchen, über sich hinaus zu wachsen und so Gottes Vergeben zu erlangen.
An neuen Blutlinien folgen die Azerkatil (was eine Gruppe, die auch Dragonslayer genannt wird, wohl mit dem Ordo Dracul verbindet...), die Dragolescu (exzellent im Umgang mit Geistern, aber dadurch gezeichnet, dass ihr Gründer fanatischer Anhänger Adolf Hitlers war und in diesem die Reinkarnation Draculas sah), die Libitinarius (Verschwörungstheorien und ägyptische Mystik vereint in einer Mekhet-Richtung mutmaßlich sehr alter Herkunft), die Moroi (kampfzentrierte Mischlinge aus Gangrel und Nosferatu!), die Tismanu (die vampirische Repräsentation der östlich-orthodoxen Gläubigen) sowie die Vedma (die Hexen russischer Schauergeschichten, die entsprechend mit Zagovny, Blut-Hexerei, ausgestattet sind).
Viel Neues also, was uns auch direkt zum fünften Kapitel führt: „Coils and Miscellanea of the Blood“. Ein paar Seiten zu den und mit neuen Coils of the Dragon, fünf neue Disziplinen (Essentiaphagia, Eupraxia, Mortualia, Suikast und Zagovny), ein paar neue Devotions, sechs neue Merits (teils sehr speziell, etwa ein „geomantic nexus“), ein paar Seiten Blood Alchemy sowie spezielle Rituale im Umgang mit Wyrm‘s Nests schaffen ein sehr rundes, sehr vollständiges Bild.
Bleibt der Appendix: „Allies and Antagonists“. Zwanzig verschiedene generische NSCs vom Prinzen bis zum unabhängigen Gläubigen werden vorgestellt, sowie drei ganz besondere Charaktere: Unter dem Titel „The Three Draculas“ fasst das Buch mit dem „Hollywood Drac“, dem „Gilded Fireplug“ sowie dem „Romanian Terror“ noch drei Archetypen zusammen, wie Vlad Tepez häufig dargestellt wird und wie „ein Dracula“ auftreten kann. Ganz nett als Abschluss des Bandes.
So bleibt uns eigentlich nur noch zu monieren, dass es bei diesem dicken Buch sträflicherweise keinen Index gibt, was gerade aufgrund der hohen Fließtext-Dichte nicht schlecht wäre, zumal gerade zwischen Kapitel 2 und 3 oft auch unklar ist, wo bestimmte Informationen nun stehen.
Sieht man aber davon sowie von den zwei optischen Ausrutschern ab, ist „Ordo Dracul“ ein rundum hervorragendes Buch geworden. Die Ahnen des Dracula bekommen hier viel Tiefe und werden sehr abwechslungsreich geschildert. Es werden viele Charakter- und Chronikkonzepte demonstriert und ausgeführt, es wird nichts einfach nur angerissen, dem Erzähler aber dennoch an den richtigen Stellen viel Freiraum gelassen.
Viele der neuen Factions und Bloodlines sind erstaunlich gut in ein Spiel integrierbar geraten und auch mit den neuen Kräften kann man arbeiten. Vor allem aber hat man nach der Lektüre das Bild einer in sich schlüssigen Organisation vor Augen, die zwar keine Einheitlichkeit erzwingt, aber doch eindeutig einem Gesamtkonzept folgt.
Wer sich für die Dragons erwärmen kann, selber dem Orden angehört oder auch als Erzähler mehr als nur ein Abziehbild dieses Bundes präsentieren will, kommt wohl auf kurz oder lang nicht wirklich an dem Buch vorbei.
So müssen Quellenbücher sein!
Name: Ordo Dracul{jcomments on}
Verlag: White Wolf
Sprache: Englisch
Autoren: Will Hindmarch, Christopher Kobar, Matt McFarland und Greg Stolze
Empf. VK.: 31,95 US-Dollar
Seiten: 230