Vampire - The Requiem - Nomads

Exile me?
Fools!
It is you who are the exiles,
trapped in the festering cell of a city.
vom Backcover von V:tR – Nomads

Als ich erfuhr, dass das zweite Quellenbuch der Vampire nach dem Grundregelwerk „Nomads“ werden würde, wurde ich mal wieder skeptisch. Irgendwie wollte er mir nicht recht in den Kopf, dieser Quellenband über reisende Vampire in kleinstädtischen Gegenden. Die Blutsauger hatten und haben tendenziell doch immer einen sehr urbanen Beigeschmack gehabt.

Nun aber liegt es vor mir und zumindest optisch kann ich nur wieder attestieren, was schon bisher die Reihe ausgezeichnet hat: Nomads ist hübsch geraten. Das Cover ist zugegeben etwas zu klischeehaft, mit einem langhaarigen (und lang-zahnigen) Biker auf seinem Motorrad, mit blutigem Hemd und Shotgun in der Hand, brennendem Wohnwagen links und bizarren Kreuzen rechts hinter ihm. Aber irgendwie passt es auch zum Buch und stimmt schon mal auf das ein, was kommen wird. Blickt man neben den Fuß des Bikers, so liest man „Brom“ und hat zumindest eine Idee, warum es so gut gezeichnet ist. Hier kehrt auch der matte Einband mit den Folienelementen wieder, welchen ich bei „Coteries“ so schmerzlich vermisst habe.
Auch das Innenartwork hat nahezu keine Ausrutscher zu bieten, sieht man vielleicht mal von einem schrägen NSC (S. 108) ab. Doch auch dort muss man nur eine Seite zurückblättern und sich das Bild der „Ice Queen“ anschauen ... wunderbar. Generell ist der Stil wieder gezeichnet, kommt ohne Werke von Computercollagisten wie Shy oder Araya aus. Dennoch ist es stimmungsvoll, düster und in großen Teil durch hervorragende Schattierungen auch sehr platisch. Die Motive sind weitestgehend gut gewählt und einige Bilder, etwa die beiden Damen auf S. 25, gingen auch als Poster noch gut weg. Wirklich „harte“ Motive sind hier aber eher die Seltenheit.
Erwähnenswert ist dabei auch noch die obligatorische Einleitungsgeschichte des Buches, die diesmal vom Design her an Plakate irgendwelcher Dorf-Rockkonzerte oder ähnlichem angelehnt ist und in ihrem sprunghaften Erscheinen etwas an die großartigen Einleitungen älterer WoD-Regelwerke, vornehmlich der zweiten Edition, erinnert.

Der wirkliche Buchinhalt gliedert sich Prolog, Einleitung, vier Kapitel und einen Appendix. Während man zu den beiden Erstgenannten kaum etwas sagen muss, steigen wir doch gleich mal mit Kapitel I ein.
„The Call of the Road“ wird hier thematisiert und greift, ähnlich wie „Coteries“, einmal mehr auf eine Teilung in verschiedene Covenants zurück. Auf Deutsch: wenn meine Gruppe dem Ordo Dracul angehört, warum könnten diese Nomads sein oder werden? Welche Gründe bietet der Invictus und wie schaut es beim Lancea Sanctum aus.
Hier stecken durchaus gute Ideen drin, viele davon recht offensichtlich, andere aber auch clever und innovativ zu nennen.

Kapitel II, „Those Who Wander“, geht dann eher auf die Charakterebene. Was für Gründe kann ein einzelner Charakter haben, Nomade zu werden? Was treibt ihn heraus aus den Städten? Es werden Archetypen genannt, etwa die offensichtlichen Exilvampire oder die schon wieder interessanten Couriere, es werden aber gleichermaßen erneut einige Worte zum Aufbau einer Coterie verloren, so dass man weder als Erzähler noch als Spieler nach der Lektüre der bisherigen Seiten noch große Probleme haben sollte, sich entsprechende Charaktere zu generieren.

Probleme mit diesen zu überleben allerdings, die sind denkbar. „Surviving in the wild“, Kapitel III, widmet sich daher allein diesem Themenkomplex. Neben verschiedenen generellen Gefahren werden hier vor allem verschiedene Gebiete beschrieben, durch die ein Nomad kommen kann, und darauf eingangen, was für Risiken damit zusammenhängen. Kann man etwa in einer Großstadt noch guten Gewissens die kleine Blonde an der Bushaltestelle oder den alten Hausmeister im Keller aussaugen, ohne dass jemand zu viele Fragen stellt, so sieht das auf dem Land schon anders aus. Wenn „Sarah“ nicht zum Abendessen kommt oder Peter einen Stammtisch auslässt, sollte der Nomad besser schon weiter sein...
Doch auch noch gefährlichere Regionen werden behandelt – Vampire und Wüsten, das klingt ja schon nicht nach einer klugen Kombination...
Die ebenfalls hier enthaltenen Rituale (Crúac und Theban Sorcery) und Devotions sind nett, wären aber nicht nötig gewesen. Einige davon finde ich auch etwas schräg in der Zusammenstellung, etwa die Devotion „Love like Blood“, die ich mutmaßlich eher mit Majesty geregelt hätte, aber darüber kann man natürlich streiten.

„Notable Nomads“, Kapitel IV, bietet genau das. Keine großen Überraschungen auf diesen Seiten, dennoch sind sie nicht verschenkt. Einige NSCs, etwa die vorhin schon erwähnte „Ice Queen“, sind recht faszinierend geraten und jeder hat einen kleinen Textkasten mit Abenteuerideen. Das hat mir ausgesprochen gut gefallen und macht aus einem Kapitel, das sonst eher eine Ansammlung schräger Signature Characters gewesen wäre, eine nützliche Werkzeugkiste für Abenteuer. Schön – mehr davon!

Apropos mehr Abenteuer, damit wären wir beim Appendix „Route 666“, der dann als 13 Seiten langes Abenteuer daherkommt. Schwierig was zu sagen, ohne zu spoilern, daher nur kurz: es ist ganz fein geworden, aber keine Offenbarung. Allerdings schlägt es erstmals die Brücke zwischen dem New Orleans des Grundregelwerks und der Vampirstadt Chicago, so dass man es als Spielleiter vermutlich wirklich gut als Überleitung verwenden kann.
Mir hat es ganz gut gefallen, aber das geht auch noch besser.

Fasst man es zusammen, so ist das Buch erschreckend gut geworden. Man hätte es wissen können, hat doch Unknown Armies-Kultautor Greg Stolze hier einen guten Teil beigesteuer; trotzdem, ich war verwundert. Klar, wer die Städte nie verlässt, der braucht das Buch natürlich nicht.
Wer aber darüber nachdenkt, seine Vampire hinaus aufs Land zu schicken, gleich aus welchen Gründen, der sollte sich Nomads aber dringend mal anschauen. Rituale, Devotions, NSCs und das Abenteuer sind nette Gimmicks, aber besonders die ersten drei Kapitel des Bandes sind reich an Inspiration, gut durchdacht, interessant geschrieben und schlichtweg nützlich.
Somit ist „Nomads“ zwar ein ziemliches special interest-Buch geworden, aber nichtsdestotrotz ein sehr gutes.


Name: Nomads{jcomments on}
Verlag: White Wolf 
Sprache: Englisch
Autoren: Brian Campbell, Patrick O‘Duffy und Greg Stolze
Empf. VK.: 24,99 US-Dollar 
Seiten: 128