Vampire - The Requiem - New Wave Requiem (eBook)

„It was a time of peppy optimism, but it was also a time of insider trading, hate groups and a race to Armageddon. It was a time when unknown diseases were killing us while computers took our jobs and the Japanese were ready to buy all of our land. It’s a place very much like our world, but a little different. Like the World of Darkness.“
vom Backcover von New Wave Requiem

Als ich das erste Mal auf das vorliegende Buch stieß, hielt ich es für einen reinen Scherz. Und ganz ehrlich: Ich glaube, die Jungs und Mädels bei White Wolf auch. Aber wie manche dieser Ideen, die man in schwachen Moment etwas zu laut sagt, hatte auch dieses Projekt ein Eigenleben entwickelt und so liegt es nun vor mir: Das Vampire: the Requiem-Quellenbuch zu den 80ern.
Wobei „liegen“ hier rein metaphorisch ist, denn das Buch ist rein digital erschienen und als PDF bei DriveThru und Konsorten erschienen. Anders als frühere SAS-Downloads ist es aber durchaus ein richtiges Quellenbuch und hätte so, sieht man mal von dem etwas geringeren Seitenumfang ab, auch sicherlich seinen Weg in den Druck finden können. Man bekommt hier 81 Seiten für 11,99 US-$, also etwas mehr als neun Euro zu dem Zeitpunkt, an dem ich diese Zeilen hier schreibe, was sicherlich schwer in Ordnung ist. Vor allem hat mich das Drumherum sehr begeistert, was mit dem Erwerb bei DriveThru einher ging: Man erhält nicht eine, sondern zwei PDF-Dateien des Buches. Eine farbig für den Bildschirm, eine in schwarzweiß für den Ausdruck daheim. Dazu gesellt sich dann noch eine dritte PDF-Dateie mit dem exklusiven Charakterbogen; abgerundet wird all das dadurch, dass man insgesamt 15 Zugriffe auf diese Dateien hat. Das ist alles mehr als fair zu nennen und da man bei DriveThru (anders als etwa bei Paizo) auch PayPal akzeptiert, wanderte diese PDF letztlich dann auf meine Festplatte.

Nach diesen positiven Eindrücken gesellte sich noch schnell ein zweiter Eindruck hinzu: „Boah ist das schön!“ Zwar sind die Illustrationen in der Datei eher spärlich gesät, aber es wäre dennoch schlicht gelogen zu behaupten, dass man sich keine Mühe mit dem Design gegeben hätte. Nicht nur, dass die Gestaltung der einzelnen Seiten wirklich, wirklich schön geworden ist, am Bildschirm wie gedruckt angenehm zu lesen und dennoch optisch ansprechend, das, was an Bildern in dem Buch steckt, ist auch sehr ansprechend.
Es mag einfach am Dekor der Zeit liegen, aber John Christopher, Marco Nelor und Frederico Piatti gelingt es immer wieder, mit ihren Bildern den Flair der alten „Maskerade“ wieder zu erwecken. Das liegt, denkt man einmal darüber nach, durchaus nahe, denn der „gothic punk“-Stil der alten World of Darkness war ein direktes Produkt der späten 80er und frühen 90er und zugleich etwas, was zum „Requiem“ hin zurückgefahren wurde. Nun kehrt das, was einst Wurzel war, als großes Zitat in das Spiel zurück und wird, etwas abgeklärter, zu einem regelrechten Stilmittel.

Das ist aber etwas, was eigentlich schon das ganze Buch gut beschreibt. Waren die oWoD-Bücher eben Produkte ihrer Zeit, der frühen 90er, so ist „New Wave Requiem“ nun ein Buch über diese Zeit und kann seinen Fokus natürlich viel pointierter ansetzen. Es gibt keine bunten Farben hier, es gibt nur Neon, frei nach dem Buch gesprochen.

Was aber nun bietet das Buch?
Schnell wurde Kritik laut, das es recht arm an Mechanismen ist. Es gibt keine neuen Blutlinien, keine neuen Disziplinen und natürlich auch keinen neuen Clan, wie es bei „Requiem for Rome“ noch der Fall war, als die Ventrue gegen die Julii getauscht wurden. Und wenn all das fehlt, man aber davon ausgeht, dass ein Großteil der Rollenspieler die 80er wenigstens noch als Kinder erlebt haben – warum dann „New Wave Requiem“ lesen?
Weil das Buch eben kein Geschichtsbuch ist. Das Kapitel zur Epoche an sich – „Decade of Excess“ – ist gerade mal acht Seiten kurz und damit ein guter Grundstein, den man dann wahlweise aus dem Kopf oder aber mittels der Wikipedia auffüllen muss. Der Rest aber ist in etwa eine so getreue Adaption der echten 80er wie „Requiem“ ein getreues Bild der 200xer liefert. Alles ist etwas düsterer, alles ist (in diesem Fall) schriller, lauter und auch bedrohlicher. Um das Buch selbst zu zitieren:
„It’s not just about Raybans and big hair and Members Only jackets. It’s about a generation that’s been told that greed is good. It’s about over-the-top fashion worn by bands that want to be rebellious but still make it on MTV. It’s about Russia still trying to be The Enemy in the middle of perestroika and Chernobyl. It’s about the fear of AIDS invading our bodies and the technology invading our homes.“
Es geht um Gier, es geht sehr viel um Macht, um Selbstdarstellung und um Angst, etwa vor Dingen, die man zu der Zeit einfach nicht versteht.

Das Buch gibt sich große Mühe, die angestammten Sozialkonstrukte rund um die Vampire elegant in die 80er zu transportieren und erzeugt damit durchaus ein paar spannende Ideen. Gerade die Idee der Maskerade muss doch manche Kritik und manchen neuen Blickwinkel ertragen. Nach generellen Anmerkungen werden dann noch alle Clans und Covenants im Detail beleuchtet und in die neue Zeit portiert. Insgesamt umfassen diese beiden Kapitel, „The Nights of Modern Kindred“ und „Lean and Hungry Types“, 18 Seiten und haben damit genug Raum, ihren ganz eigenen Flair zu entfalten.

Weiter geht es mit einem sechs Seiten kurzen aber ungeheuer wertvollen Kapitel: „Telling Stories of Sin“. Extrem gut werden hier die typischen Erzählstrukturen der 80er-Medien umrissen und Konzepte wie Happy Endings und Montagesequenzen als Rollenspiel-Methoden adaptiert. Ebenfalls werden hier Themen wie etwa die Mechanik von AIDS besprochen, wobei das Buch auch hier einen extrem angenehmen, regelfreien Ansatz wählt und mehr auf die dramaturgischen und dramatischen Effekte der Krankheit eingeht. Nicht aber, ohne nicht zumindest ein Regelkonstrukt angeboten zu haben.
Abgerundet wird das Kapitel durch ein paar ganz passable Story Seeds.

Weiter geht es noch mit einem Abenteuer, das mit zwölf Seiten ebenfalls einen angemessenen Umfang hat. „A Good Man Bad“ bietet eine gute Mischung aus Hintergrund und eigentlichem Szenario und ist im White Wolf-eigenen SAS (Storytelling Adventure System) gehalten, eine recht gute Methode, um urbane Abenteuer zu präsentieren. Der Plot scheint okay, zur Probe gespielt habe ich es aber nicht.

Seinen Abschluss findet das Buch in einem Appendix, der auf immerhin 13 Seiten fünf typische 80er-Vampire vorstellt: Darryl Lawrence (Carthian Ventrue Gang Leader), Harold Reynold (Lancea Sanctum Grangrel Moralist), Kenneth Bryce (Invictus Daeva Hotshot), Molly Wright (Ordo Dracul Mekhet Bookworm), und Robyn Sloane (Circle of the Croan Nosferatur 'Priestress of Pain'). Alle recht okay, alle mit eigenem Charakterblatt und – das fand ich cool – Textkästen, die Werteänderungen empfehlen, falls man sie nicht als Startcharaktere beginnen möchte.
Die letzte inhaltliche Seite ist dann ein Blanko-Charakterblatt, eben auch im „New Wave“-Look gehalten. Mein erster Impuls war es, das nun im Angesicht des separat auch im Paket auch enthaltenen Charakterblattes redundant zu finden, doch andererseits hat man so einmal eine „Alles beisammen“-PDF und ein Mal eine Datei, die man auch mal bequem dem Copyshop mailen kann.

Alles in allem hat mir, obschon es auf den ersten Blick sehr albern klingt, das vorliegende Buch echt gut gefallen. Die 80er, die hier geschildert werden, sind nicht die, in denen man vielleicht selbst gelebt hat, sondern eher die, in denen die finstereren Filme der Epoche spielten, die dunkle, finstere Version dessen, was war.
Das Buch erzeugt von vorne bis hinten eine angenehme Stimmung, nicht zuletzt durch Gimmicks wie eine Liste mit empfohlenen Liedern, die grafisch wie der Pappeinleger einer alten MC aufgemacht ist und damit wieder direkt perfekt ins Setting passt.
Diskutieren könnte man nun noch darüber, ob das mit der PDF eine zufriedenstellende Alleinlösung ist. Aber der Preis ist fair, die Umsetzung wirklich gut und professionell – da kann man sich umgekehrt auch einfach freuen, dass die geringeren Produktionskosten für eBooks gegenüber der Papier-Produkte es überhaupt ermöglichen, obskure Spartenprodukte wie „New Wave Requiem“ überhaupt auf den Markt zu bringen.

Ich habe den Kauf nicht bereut und wer die Idee mit den 80ern generell spannend findet, der sollte hier auch zugreifen.
Echt cooles Teil!


Name: New Wave Requiem
Verlag: White Wolf
Sprache: Englisch
Autoren: diverse
Empf. VK.: 11,99 US-Dollar
Seiten: 81 PDF