Vampire - The Requiem - Mythologies

„I don‘t know if I believe.
But I know I‘m scared.
That makes it real enough.“
vom Backcover von V:tR – Mythologies

„Mythologies“, der heute vor uns liegende Quellenband für Vampire: the Requiem, ist mal wieder ein Baukasten. Es geht um Mythen innerhalb der Vampirgesellschaft, urbane Legenden und Schöpfungsgeschichten der Blutsauger. Anders als Bücher wie „Nomads“ befasst sich der Band aber kaum mit dem Thema an sich, sondern ist von vorne bis hinten gefüllt konkreten Beispielen dieser Legenden, was ihn am ehesten noch mit dem ebenfalls jüngst erst veröffentlichten „Requiem Chronicler‘s Guide“ vergleichbar macht.

Von außen her ist es nicht unbedingt der schönste Band der Reihe. Das Cover von John VanFleet ist zwar ganz schön gemacht, aber einfach zu dunkel und nichtssagend geworden. Kein vollkommener Querschläger, aber eben auch einfach nicht richtig schön. DIe Verarbeitung entspricht dagegen den Vampire-Quellenbänden der jüngeren Zeit – will sagen, das Buch ist ein matt eingebundenes Hardcover, dessen Umschlag teilweise mit Glanzelementen verziert wurde. Das ist mittlerweile aber auch nichts Neues mehr; leider ebensowenig, wie die Verarbeitung im Inneren. „Mythologies“ ist ein weiteres, waschechtes White Wolf-Buch aus China, dessen Bindung und Papier einfach nicht mehr an die ersten Bücher der neuen Reihe heranragen. Die Bindung neigt zwischen den einzelnen Seitenbündeln gerne zum Breschen, das Papier ist rauer und glänzt nicht. Naja, zumindest ist der Druck kräftig.
Die Innenillustrationen sind dagegen klar von der besseren Sorte. Es sind wie immer die üblichen Verdächtigen beteiligt, aber die Qualität der Bilder an sich ist einfach markant über dem Durchschnitt angesiedelt. Gerade auch das Bild auf der Innenseite des Umschlags hat mich ziemlich überzeugt, wenn es auch die Antwort auf die Frage schuldig bleibt, was das jetzt mit Mythologien zu tun hat.

Das Buch gliedert sich in fünf Abschnitte: eine „Fading Away“ genannte, einleitende Kurzgeschichte, die obligatorische „Introduction“ mit Anmerkungen zu Inhalt, Theme und Mood, sowie eben drei Kapitel. Klar zu kritisieren ist dabei, dass diese Einteilung nur grob ist und auch wenn ein Wunder geschehen ist und man bei WW tatsächlich auch einmal die großen Unterkapitel im Inhaltsverzeichnis mit aufgelistet hat, so ist das Buch doch unschön zu navigieren. Überschriften sind wie immer in der geschwungenen Vampire-Überschriften-Handschrift gelayoutet und die Unterkapitel sind nur marginal größer Übertitelt als deren Unterabschnitte. Da der Layouter es zudem nicht für nötig erachtet hat, wenigstens einen Spaltenwechsel bei Themenwechsel einzubauen, führt dies einfach dazu, dass der unachtsame Leser oft gar nicht bemerkt, wenn er bereits ein neues Themenfeld angebrochen hat. Von „Suchen durch Blättern“ mal ganz ab, das kann man gleich vergessen.

Aber nun gut, was haben wir also inhaltlich zu bieten? Kapitel 1 heißt „Damnation“ und hat fünf untergliedernde Abschnitte. Hier werden mögliche Entstehungsgeschichten für den großen Fluch und sein Produkt, die Vampire, präsentiert. Wer also keine Lust hat, Teil der großen Masse zu sein und auf die Longinus-Theorie des Sanctums oder so aufzuspringen, finde hier fünf „off-the-mainstream“-Theorien.
„The Blood of the Bull“ zieht dabei parallelen zum Mithras-Bullen-Kult, ist okay, aber nicht unbedingt für jede Chronik geeignet. „Sons of the Serpent“ bietet dagegen eine biblische Alternative und bezieht sich weder auf Longinus noch (wie das alte Vampire: the Masquerade) auf Kain und Abel, sondern auf die Schlange aus dem Paradies. Das ist schon cooler, vor allem weil hier sehr phantasievoll direkte Bibelzitate umgedeutet werden. Damit kann man sicherlich gut arbeiten.
„Embraced by Fear“ ist eher abstrakt und geht davon aus, dass der Urvater der Vampire eine Leiche war, die von ihrer eigenen Angst ab friedlichen Dahinscheiden gehindert wurde. Naja, zumindest innovativ. „Blood Gods“ ist mehr oder weniger selbsterklärend und geht von lange vergessenen Gottheiten als Urheber des Fluchs aus, während „Emperors of Blood“ assoziiert die einzelnen Clans mit Sünden rund um römische Eckpfeiler wie Julius Cäsar. Das wiederum fand ich ganz cool, ist mal was anderes. Und anders als etwa bei den alten „Mage: the Ascension“-Büchern der „Dead Magic“-Reihe ist‘s hier auch kein reines Kulturkreis-Dropping, sondern man hat sich seitens der Autoren tatsächlich Gedanken gemacht.
Ist nicht alles gleich gut verwendbar, aber durchaus mit Potential gesegnet.

Auf zu Kapitel 2: „Modern Legendry“. Das sammelt sozusagen urbane Legenden aus blutsaugenden Kreisen. Die Auswahl ist dabei sehr weit gestreut, was auch sogleich mein größter Kritikpunkt an dem Abschnitt ist, denn er wirkt einfach etwas willkürlich zusammengestellt.
„Eaters of Sin“ stellt eine Abwandlung dar, in der die Vampire neben Vitae dem Opfer auch Sünden entsaugen können. Diese triefen als schwarze Substanz heraus und bringen dem Vampir Willenskraft, dem Opfer ermöglichen sie dagegen einen erneuten Morality-Wurf, um eventuelle Verluste auszugleichen. Das Konzept ist cool, die Umsetzung ebenso – sogar eine „generische WoD“-freundliche Version, in der die Sündenfresser keine klassischen V:tR-Vampire sind sowie ein eigenes, geheimes Covenant wurde integriert.
„Breath-Drinkers and Liver-Eaters“ sammelt exotische vampirartige Legenden aus aller Welt. Es gibt kurze Anregungen zu Succubi (also Vampire, die sich durch Sex „ernähren“) und derartigen Wesenheiten werden gegeben, dazu dann konkrete Abhandlungen zu den beiden titelgebenden Varianten: Das Verspeisen der Leber hat „Akte X“ bereits in den Episoden „Das Nest“ und „Ein neues Nest“ klassisch gemacht, die Atem-Variante dagegen bietet den Vampiren eine unkompliziertere Nahrungsmethode als das Trinken von Blut. Auch der Abschnitt ist nicht schlecht, allerdings ist das Spektrum recht weit und er kann daher nicht ganz mit den Sündenfressern mithalten.
„Solace“, Abschnitt drei, behandelt eine übernatürliche Droge, die auf die Straßen gelangt und bei den Vampiren umgeht. Naja, insgesamt eben ein Weg, Vampir-Junkies zu machen, mit Szenario-Ideen, die langweiliger und uninspirierter nicht sein könnten. Nett gemacht, aber einfach völlig ausgelutscht.
Auch nicht begeistert haben mich gleich die nächsten drei Unterkapitel. „The Sleep of Reason“, „Understanding the Fog“ und „The Second Death“ behandeln das Thema „Torpor“. Ist es ein Tor in die Unterwelt, ist es psychologischer Zustand oder doch ein Mittel zur Selbstreflektion? Die Artikel sind okay und lesen sich ganz nett, aber ihre Relevanz für‘s Spiel ist eher gering und das Thema selbst auch nicht das spannendste. Einer wäre okay gewesen, aber drei ist definitiv etwas zu viel Overkill.
„Art in the Blood“ mag dann zwar etwas aufgesetzt sein, ist aber sehr cool geraten. Es geht um Antoine Charles Horace Vernet, den Sohn des Malers Claude Joseph Vernet. Das Buch präsentiert hier eine Art Schauermär und die Person, seine Familie und vor allem seine Bilder, ohne jetzt zu spezifisch zu werden oder gar eine klare Antwort darauf zu geben, was hier nun die Wahrheit ist. Es geht um Bilder, die Frage, ob die mystische Macht vampirischen Blutes auf die Gemälde übertragen werden kann und, viel spannender noch, ob das gemalte Subjekt durch das Gemälde beeinflusst werden kann. Sehr inspirierend!

Und somit sind wir bei Akt 3: „What Monsters Fear“. Eine Sammlung von Kreaturen, Mythen und dergleichen, die eben auch Blutsauger in Angst und Schrecken versetzen.
Den Auftakt macht „The Thing in the Mirror“. Klassisch. „Bloody Mary“ Special Edition für Vampire aller Art, schön umgesetzt, mit netten Ideen versehen und „Red Jack“ getauft, aber irgendwie dann eben doch noch immer ein mittlerweile etwas angestaubter Klassiker. Andererseits hat die TV-Serie „Supernatural“ jüngst gezeigt, dass man das Konzept durchaus auch heute noch spannend umsetzen kann. Ob man jetzt unbedingt die Disziplin „Ars Speculorum“ gebraucht hätte, die Red Jack lehren kann sei aber dahingestellt. Alles in allem geht der Artikel aber in Ordnung.
Ganz groß fand ich auch „The Just Angel“, Raguel. Eine mysteriöse Gestalt, die zumindest als Engel Raguel, Diener des Herrn, auftritt, dessen wahre Identität aber ein großes Geheimnis ist. Das Buch bietet drei Konzepte, wie man Raguel verwenden kann, die je drei Abenteuerideen liefern. Neun Szenarien mit dem „Engel“ also, der dann auch gleich noch mehrere Lesarten zu seiner Person selber mitliefert. Hat das Sanctum recht und wurden die Vampire, nachdem der Engel Vahishtael Longinus vom Fluch berichtet hatte, Raguel unterstellt? Oder ist er selber ein Vampir, der nur diese eine Rolle ausfüllt? Wieder darf der Erzähler entscheiden.
„Blood Curses“ beschäftigt sich dagegen nicht mit einem Wesen, sondern eben mit den klassischen Schwächen der untoten Bluttrinker. Das ganze wirkt etwas obskur auf mich, die Regelmechanismen sind ausladend und so ganz Requiem-Kompatibel erschienen die Konzepte auch nicht.
Besser ist dagegen der nachfolgende Abschnitt: „My Ghoul, My Master: The Phanariot“. Es geht um Ghule, die ihre vampirischen Herren wahlweise abschlachten oder zumindest versklaven. Es werden verschiedene Legenden präsentiert, von Massakern im Balkan über Hexen bis hin zu bösen Geistern, die dafür verantwortlich sind, dazu dann diverse Anmerkungen zur spieltechnischen Umsetzung. Nett gemacht, gut aufgebaut, gefällt mir.
Die „Frenzy Plague“ ist dann wieder eher so ein Ding. Die komplette Beschreibung ist nur ein Intime-Text, der ein Phänomen beschreibt, dass sich Guidry Syndrome nennt. Der eigentliche Kapitel verrät aber, worum es grob geht und im Herzen ist es dann eben so eine „unkontrollierbare Seuchen“-Variante für Untote wie „Solace“ zuvor die Drogen-Version für Vampire war. Kann man mit arbeiten, muss man aber nicht.
„The Black Hounds“ ist auch ein Klassiker, wenn auch in diesem Kontext beileibe nicht so verbraucht. Hier werden Jäger zu gejagten, denn die „Black Hounds“, welche bisweilen frappierend an Lovecrafts Hunde von Tindalos erinnern, suchen ihre Beute innerhalb der Gesellschaft der Blutsauger. Sie haben dramaturgisch schön zu inszenierende übernatürliche Kräfte, der Artikel gibt diverse Zeugenberichte um sie elegant einzuführen, es gibt verschiedene Interpretationen und die notwendigen Regeln. Sehr schön.
„The Hunter“ beschreibt einen untoten Vampir-Jäger. Das ist jetzt eher platt, das hat man schon dutzende Male gesehen und nimmt im Buch auch gerade mal rund zweieinhalb Seiten Text ein. Muss man wohl kaum mehr zu sagen.
Den Abschluss liefert dann „Dreadful Night of the City“, über das man streiten kann. Die Theorie kennt man auch: Die Sünden, das Verbrechen und das Leid einer Stadt nehmen eine physische Präsenz an und ein schreckliches, finsteres Wesen entsteht. Und da wir einen V:tR-Band vor uns haben, macht sich das Dingen auch sogleich auf die Jagd nach Vampiren. Die Idee ist schön, eine Stadt mit Bewusstsein immer wieder ein tolles Topos, aber die Umsetzung gefällt mir hier wirklich nicht. Denn so toll die Ideen auch sind, das Wesen dahinter, Urbiphage getauft, verliert sogleich an Ernsthaftigkeit, wenn es mit Auspex betrachtet als „polypous, swollen bat corpse, partially melted and suspended across the city center“ erscheint. Man kann hier Ideen finden, aber sollte es nicht by the book verwenden. Vor allem fehlt mir hier etwas die Ambivalenz der Ideen, die das Buch sonst so auszeichnen.

Zieht man nach dieser langen Rezi ein Fazit, so kommt man zu dem Schluss, dass „Mythologies“ letztlich „gut“ zu bewerten ist. Da die Optik keine wilden Ausreißer in irgendeine Richtung vollführt, kann man sie als Bewertungskriterium eher ignorieren; inhaltlich ist der Band eben sehr zweigeteilt. Einige Ideen sind eher mau, andere ziemlich großartig. Da die guten Kapitel insgesamt allerdings das Buch dominieren, kann man die schwarzen Schafe ignorieren und das Buch generell durchaus zum Kauf empfehlen.
Ein bisschen ist „Mythologies“ für mich das, was der „Requiem Chronicler‘s Guide“ gerne gewesen wäre – eine riesige Fundgrube frischer Ideen aus allen möglichen Themenkreisen, um die eigene Chronik markant aufzuwerten.


Name: Mythologies 
Verlag: White Wolf 
Sprache: Englisch{jcomments on}
Autoren: Kylee Hartman, Kenneth Hite, Kaldoun Khelil, Robin D. Laws, Matthew McFarland und Travis Stout
Empf. VK.: 26,99 US-Dollar 
Seiten: 144