Vampire - The Requiem – Bloodlines – The Legendary

One of you.
A score of me.
A score of us.
You will belong, blood and soul.
You will be mine and ours.
vom Backcover von V:tR – Bloodlines: The Legendary

Die Dunkelheit hing wie ein finsterer Schleier in den Gassen des nächtlichen Aachens. Dicke Tropfen rannen in stetigem Fluss von den Dächern herab und kündeten von den schweren Regenfällen, die bis vor wenigen Minuten die Stadt in ihren Klauen hatten. Der Rezensent war zu diesem Zeitpunkt unterwegs gewesen. Nun sank er nieder, einen heißen Tee an seiner Seite und das iBook auf seinem Schoß. Er griff neben sich und zog ein Buch hervor, dessen Titel bereits den Klang grenzenloser Mystik darbot – „Bloodlines: the Legendary“...

Aber mal im Ernst. „Bloodlines: the Hidden“, der erste Band der Reihe, war bisher für mich eine der positivsten Überraschungen der gesamten nWoD, denn optisch wie inhaltlich war er definitiv einer der prachtvollsten und nützlichsten Titel, die mir da bisher untergekommen sind.
Nun liegt der zweite Band neben mir und wieder war der Titel erst einmal Grund für manch skeptischen Blick meinerseits auf den Veröffentlichungsplan. „The Legendary“. Das klang für mich jetzt wahlweise nach der Art von missratenen Epik, die bei den oWoD-Vampiren die „Dirty Secrets of the Black Hand“ zur Lachnummer gemacht hatten, oder nach jenem Maß vollkommen fehlplatzierten Mythenwirrwarrs, dass oWoD-Magus-Spieler in den beiden „Dead Magic“-Bänden zur Verzweiflung trieb. Wer konnte denn nun wirklich ein Buch gebrauchen, das Blutlinien vorstellte, die so mystisch und mächtig waren, dass ihnen bereits ihre Geschichten vorauseilten?

Mittlerweile liegt der Band neben mir und erste Erkenntnisse betreffen wie immer die Optik. „Bloodlines: the Legendary“ bietet außen wie innen die gewohnten Standards. Das außergewöhnlich schöne, wenn auch schräg ausschauende Frontcover ist demnach matt, das Logo des Buches sowie einzelne andere Elemente sind dagegen glatt und glänzend. Wie schon „The Hidden“, so sind auch „The Legendary“ nicht schwarz, sondern dunkelrot gedruckt, was zweifelsohne sehr geil aussieht. Die Innenillustrationen halten das eindrucksvolle Niveau, dass der direkte Vorgänger aufgestellt hat und wecken allenfalls die Frage, warum nicht alle nWoD-Bücher so schön sein können.
Interessant für Freunde nebensächlicher Trivia ist dabei wohl noch anzumerken, dass neben Jean-Sebastien Rossbach, von dem das Cover stammt, mit Marko Djurdjevic und Klaus Scherwinski gleich drei aus Deutschland erwachsene Zeichner mit daran beteiligt waren.

Aber kommen wir zum Inhalt. Das Vorwort erklärt uns, dass die Leser des ersten Bandes samt und sonders dafür waren, dass die einzelnen Linien fortan mehr Platz bekommen sollen, um noch mehr Details unterzubringen. Somit sind auch keine zwölf neuen Blutlinien mehr enthalten, wie es bei „The Hidden“ noch der Fall war, sondern nur neun – aber die haben es dafür auch richtig in sich.
Dabei stellt das Vorwort weiterhin auch klar, dass „Legendary“ nicht als „totally bad-ass!“ gelesen werden soll, sondern eher als etwas, was es wert ist, genannt, gefürchtet und im Gedächtnis behalten zu werden. Die Prämisse macht ja durchaus Mut...

Um den Schnelldurchlauf zu machen:
Bei den „Bron“ handelt es sich um Gralsjäger zwischen Joseph von Arimithea und Bran the Blessed, „The Carnival“ sind blutrünstige Jahrmarktsverrückte, die „Children of Judas“ sind vom Konzept des Selbstmords fasziniert, die „Galloi“ sind Nosferatu, die ihren Fluch der Verabscheuungswürdigkeit durch Baden in ihrem eigenen Blut überwinden können, die „Gulikan“ können toll riechen (dazu gleich mehr...), wohingegen die „Kuufukuji“ folgen einem sehr, sehr komplexen asiatischen Selbstverständnis, die „Macellarius“ verspeisen Menschenfleisch und mästen sich in ungeahnte Fettdimensionen, aber beweisen dabei Tischmanieren, die „Melissidae“ sind gedankenverbundene Mitglieder einer Insektenblutlinie und die „Players“, ja, versuchen aktiv das von der Popkultur gezeichnete Vampirbild zu verkörpern.

Es ist offenkundig, dass da durchaus verschiedene Qualitäten in den Konzepten vorliegen. Alle neun Artikel sind toll geschrieben, keine Frage, aber mit manchen kann man einfach mehr anfangen als mit den anderen.
Nehmen wir also einmal die „Gulikan“. Das ist eine Daeva-Blutlinie, die eben feine Gerüche allen anderen Sinnenimpulsen vorzieht. Ein Gulikan wäre mit nichts mehr zu beglücken als mit so einer Art Geruchsessenz des Lebens, was er soweit treibt, dass er mittels „Ortam“, der ihm eigenen Disziplin, ganz eigentümliche Regelkonstrukte dazu erhält. Nur was fängt man damit an?
Einige Sachen waren mir schnell klar. Etwa „The Carnival“. Das Konzept des Horrorzirkus ist zweifelsohne nicht neu, eigentlich sogar richtig abgedroschen, aber es funktioniert letztlich doch. Gerade, dass diese Vampire mittels ihrer eigenen Kraft, „The Show“, sogar zu monströsen siamesischen Zwillingen verwachsen können fand ich ebenso morbid wie interessant.
Oder die „Macellarius“. Ich mag das Bild der fetten, verfressenen Vampire die sich tatsächlich ganze Menschenhappen in den Rachen schiebt und den verwunderten Vampirgast damit schockiert, dass sie das scheinbar verdauen können. Mittels ihrer Kraft „Gustus“ können sie auch recht abstruse Dinge anrichten und sie ziehen tatsächlich Vitae aus dem reinen Menschenfleisch. Auch das ist gruselig, morbide, damit kann man arbeiten.
Auch wo der Reiz der sehr insektenhaft agierenden und daher einfach ‚unmenschlichen‘ „Melissidae“ liegt, kann ich nachvollziehen, ebenso wie mir die Weltschmerzzielgruppe der Selbstmordexperten der „Children of Judas“ recht klar vor Augen schwebt und das Motiv hinter den Blutbadenden der „Galloi“ klar ist.
Das sind fünf Gute von neun, was den Band alleine schon lohnen macht, doch bei den anderen drei Linien habe ich auch so meine Bedenken.

Nehmen wir die „Bron“. Schön geschrieben, gut durchdacht, nette Illus, eigene Disziplin, alles schön und gut. Aber es ist der heilige Gral. Und wenn es irgendetwas gibt, was mythologisch mittlerweile nun wirklich vollkommen ausgelutscht ist, dann ist es Gralsmythologie.
Die „Kuufukuji“, auch als „The Hunger“ bekannt, waren mir dagegen etwas schräg. Das mag anderen Leuten sicherlich anders gehen, aber die Mischung aus Zen-Lehre und Prostitutionsmystik (jepp...) fand ich ... nun ja, eben schräg.
Die „Players“ fand ich dagegen vom Konzept her einfach gewöhnungsbedürftig. Dieses „Ein Vampir, der so tut als sei er ein Mensch, der so tut als sei er ein Vampir“-Bild, dass mir da spontan in den Sinn kam, gibt die volle Komplexität der Linie sicherlich nicht wieder, aber der ganze Show-Aspekt erschien mir trotzdem eher befremdlich.
Und dann eben die „Gulikan“. Wie die Blutsauger mit dem besten Riechkolben der Welt sich den Eintrag in dieser illustren Gesellschaft von Vampiren verdient haben, ist mir unklar. Hier gilt jedenfalls mehr denn je, dass es ein Konzept ist, dass mich so richtig nicht angemacht hat.

Ein Fazit ist daher mal wieder eine eher knifflige Sache. Zweifelsohne sind die Einträge von der Schreibe her alle gut und flüssig lesbar geworden. Es gibt sehr, sehr viel Atmosphäretext und dennoch auch zu jeder einzelnen Blutlinie das offenbar weiterhin verlangte Paket „Crunch“ mit Disziplinen, Ritualen und Devotions sowie oft gleichzeitig viel Potential für die Verwendung der jeweiligen Linie auf Spieler- oder Erzählerseite.
Die Blutlinien an sich allerdings schwanken merklich in ihrer Qualität. Fünf der neun finde ich richtig, richtig gut und werde ich sicherlich in der einen oder anderen Form auch mal verwenden. Die verbleibenden vier sind auch nicht alle per se schlecht, aber wahlweise abgenutzt (Bron), schwer zu verstehen (Kuufukuji), schwer in düstere Geschichten einzubauen (Players) ... oder schlecht (Gulikan).
Wer also noch Inspirationsquellen für seine Vampire-Chronik sucht, der macht mit „Bloodlines: the Legendary“ sicherlich ebensowenig einen Fehler wie mit dessen Vorgänger. Er bekommt ein wunderschönes Buch mit viel Inhalt und einer großen Bandbreite, die abgedeckt wird. Der erste Teil der Reihe hat mir in seiner Gesamtheit aber dennoch einfach einen Zacken besser gefallen.


Name: Bloodlines: The Legendary
Verlag: White Wolf {jcomments on}
Sprache: Englisch
Autoren: Wood Ingham, Christopher Kobar, Mur Lafferty, Dean Shomshak und Chuck Wendig
Empf. VK.: 24,99 US-Dollar 
Seiten: 128