Hunter - The Vigil

„As long as monsters have prowled the darkness, brave and desperate mortals have walked out of the protective ring of firelight to pursue those shadows.“
vom Backcover von Hunter: the Vigil

Als über ein ziemlich cooles Code-Rätsel am Ende von „Changeling: the Lost“ das neue Spiel als Remake von Hunter angekündigt wurde, war ich erst einmal sehr gespalten. Sicherlich, einerseits war das alte „Hunter: the Reckoning“ ein feines Spiel. Die Auserwählung der Charaktere als Streiter wider der Monster durch höhere Mächte war irgendwie stilvoll, die einzelnen Untergruppen angenehm unterschiedlich. Ich glaube, die „Hunter Books“ sind sogar neben den „Tradition Books“ des alten Mage die einzigen Splatbooks gewesen, die ich komplett gelesen habe.
Andererseits hatte Hunter so seine Schwächen. Der spätere Verlauf der Reihe war durch eine ziemliche Planlosigkeit gekennzeichnet; was allerdings schwerer wog waren einige spieltechnische Macken, insbesondere eine vollkommen misslungene Sonderregelung zum Steigern der Kräfte der Hunter.
Und was anno 2008 weiterhin eine Hürde ist, naja, oder wenigstens zu sein schien, war die Tatsache, dass die Menschen mittlerweile ja von Grund auf spielbar gewesen waren und damit der Perspektivwechsel weniger packend erschien. Mehr noch, schon eines der allerersten Bücher der Reihe, „Antagonists“, war auf das Konzept von Jägern eingegangen und schient selbst da schon gegrast zu haben.

Nun liegt das Buch aber neben mir und meine Zweifel waren mit einem Mal zerschlagen. Das liegt weniger an der Aufmachung, obwohl die durchaus von gehobener Qualität ist, wie man das von White Wolf kennt. Der Umschlag fällt im direkten Vergleich zu den meisten anderen Spielen der nWoD etwas ab, sieht aber immer noch nett aus, die Innengestaltung ist dagegen bei Layout und Illustration über jeden Zweifel erhaben.
Was aber noch viel mehr begeistert ist die Atmosphäre, die das Buch von der ersten Zeile an ausstrahlt. Bei vielen Spielen der Reihe wirkt die Prosa der Bücher auf mich immer etwas gezwungen, so als sähen die Autoren sich genötigt, betont düster oder dramatisch zu schreiben. Nicht so hier: Die verwendeten Metaphern von Licht, Schatten und Kerzenschein sind nicht nur schlüssig, sondern auch sehr schön und flüssig in den Text eingebaut und mit jedem Absatz, den man liest, hat man mehr Lust, sich ebenfalls in die Wacht einzureihen. Oder wie auch immer man hier „Vigil“ wirklich sauber übersetzen wollte, denn das etwas unüblichere, englische Wort deckt mit seinen Assoziationen von der mittelalterlichen Wache über die kirchliche Vigile bis hin zum Freischärler einen riesigen Bereich ab. Und passt damit perfekt zum Spiel.

Wenn das neue Hunter, ich schreibe ab jetzt mal HtV der Einfachheit halber, eines ist, dann ist es uniform. Vorbei scheint die Zeit der „fünf hiervon und fünf davon“-Systeme, die bei der nWoD bisher so hoch im Kurs lagen. Hunter sind ganz anders verteilt.
Es gibt drei Tiers. Im ersten Tier findet man Einzelkämpfer und solche, die vielleicht mit ein paar Freunden nachts durch die Straßen patrouillieren und für Ordnung sorgen. Im zweiten Tier findet man die so genannten Compacts – das sind lose Bünde von Jägern, die miteinander in Kontakt stehen. Und im dritten Tier dann hat man Conspiracies, Verschwörungen, die ihrem Namen wirklich alle Ehre machen.
Findet man bei den Compacts noch Truppen wie das Network Zero, die Hunter der Blogger und Youtube-Generation, die publizieren, was sie erleben (und erlegen), so sind Conspiracies so etwas wie der Malleus Maleficarum (also eine irre, religiöse Sekte), Task Force Valkyrie oder die irren Wissenschaftler der Field Projects Division der Cheiron Group. Die Gruppen sind sehr individuell und stützen ein ganzes Sortiment an Spielstilen, wenn man möchte.

Spannend sind aber auch die Veränderungen, die ansonsten gegenüber anderen WoD-Titeln am Regelwerk vorgenommen wurden. Damit meine ich nicht nur die unvermeidlichen und natürlich enthaltenen neuen Vorteile (etwa das Safehouse oder eine Folterkammer), sondern beispielsweise die Professionen. Da Hunter mehr als alle anderen noch normale Menschen sind, hat das Spiel nun auch ein System für Berufe, das aber so behutsam auf den normalen Regeln aufbaut, dass man meinen könnte, es wäre schon immer da gewesen. Und da diese Normalität in der WoD eine bröcklige Sache ist, werden auch gleich neue Mechanismen vorgestellt, um abseits der normalen Moralregeln auch hier den Verlust spielbar zu machen.
Schön sind auch Tactics, also gewissermaßen selbst definierbare Vorgehensweisen in bestimmen Situationen, die man mit der ganzen Spielergruppe zusammen generieren kann. Hier kehrt sogar die alte, misslungene Erfahrungspunkte-Regel für Sonderkräfte aus „the Reckoning“ wieder, aber in einem neuen und diesmal sehr gut spielbaren Gewand: Practical Experience. Neben den normalen Erfahrungspunkten gibt es noch mal besondere Punkte, die nur vergeben werden, wenn Vigil-spezifische Erlebnisse gemacht werden und die man dann besonders elegant beispielsweise in diese Tactics fließen lassen kann.
Es gibt noch einige weitere neue Mechanismen, etwa eine Art „Wetteinsatz“ im Willenskraftsystem, so das Hunter alles in allem einen ungewohnt frischen Eindruck hinterlässt.

Das Spielleiterkapitel ist ausgesprochen gut gelungen. Es geht sehr hilfreich auf die Probleme ein, die aus der großen Bandbreite, die das Spiel aufbietet, heraus entstehen können und beschreibt zudem die Antagonisten so, dass man sich als Kenner der anderen Systeme nicht zu sehr langweilt, andererseits aber auch ein Neuling damit arbeiten kann. Die Themenfelder „Slasher“ (also Serienmörder) und Dämonen sind eh weitestgehend Neuland und das Spiel erweitert das Spektrum der ganzen WoD ziemlich elegant auch in diese Richtung.

Wirklich gestört hat mich an dem Spiel eigentlich nichts. Es ist ungeheuer bodenständig, sowohl inhaltlich wie auch stilistisch sehr flexibel und kann vom lockeren Monsterjagen bis zur dramatischen Kampagne voll des Ringens um die eigene Menschlichkeit beim Gleichzeiten Kampf für die Menschheit bieten. Man kann damit effektiv wirklich etwas spielen und fühlt sich dabei weder so gegängelt wie bei Promethean („Oh nein, ich muss das tun, die Quashmalim haben es gesagt...“) noch so ... verloren, wie es bei Changeling schnell passieren könnte.

Ein toll gestaltetes Spiel mit extrem gut geschriebenen Texten, das einen mit gut gemachten Regeln in eine ernste, düstere Welt der Dunkelheit führt, dabei aber auf den Weltschmerz-Pathos anderer Reihen verzichtet und einerseits auch noch eine sehr gut zum Erstellen konkreter Abenteuer geeignete Prämisse aufbietet, andererseits niemandem aber einen Stil aufzwingt.
Wer bei all dem „Nein“ sagt, ist selber Schuld! HtV ist für mich die größte Bereicherung der neuen WoD seit Jahren.


Name: Hunter: the Vigil 
Verlag: White Wolf 
Sprache: Englisch{jcomments on}
Autoren: Chuck Wendig et al.
Empf. VK.: 34,99 US-Dollar 
Seiten: 320