nWoD – Tales from the 13th Precinct

„You wanna see something
that‘ll turn your hair white, rookie?
I‘m going to go down these stairs first.
You look ahead of me, over my left shoulder.
Whatever you do, do not look back.
Do not look back until I tell you to.“
vom Backcover von WoD – Tales from the 13th Precinct

Mit „Tales of the 13th Precinct“ (das ich fortan in dieser Rezi mal einfach nur „Tales“ nennen werde) erscheint nach „Shadows of the UK“ und „Skinchangers“ dann auch mal wieder ein Quellenband für die generische WoD, der auch für die generische WoD geschrieben wurde. Anders als die anderen beiden Bände, die ganz offensichtlich als W:tF-Bände konzipiert wurden (mehr dazu in den entsprechenden Rezensionen), erkennt man schnell, dass „Tales“ tendentiell für alle Gruppen gleichermaßen gedacht ist, mit einem Schwerpunkt auf Sterbliche.

Dieser Eindruck beginnt schon bei dem Cover. Zugegeben, das Bild von zwei Polizisten, die offenbar gerade zu einer Verhaftung oder dergleichen ausrücken, das Katie McCaskill gefertigt hat, ist nicht gerade schön. Das Motiv ist okay, der massive Blaustich dagegen wirkt etwas zu überzogen und beißt sich böse mit dem grellen Gelb des Titelschriftzugs. Aber es ist eben ein deutlich undeutliches WoD-Cover, kein Werwolf-Gemälde wie bei den letzten beiden Bänden.
Ansonsten ist bei der Aufmachung alles beim Alten. Matter Hardcover-Einband, Titelschriftzug und WoD-Randstreifen, Elemente des Buchrückens und Backcovertext mit glänzender Beschichtung. Das Papier und die Bindung ist auf dem gegenüber älteren Büchern deutlich unterlegenen Niveau der neuen, chinesischen Druckerei und auch hier mag die Bindung die Seitenbündel nicht wirklich sauber in Form zu halten. Aber naja, zumindest scheint es in sich zu halten.
Die Aufmachung im Inneren entspricht ebenfalls der Reihe, weder im Satz noch in der Auswahl der Illustrationen gibt es markante Ausreißer nach oben oder unten vom generell ja immer recht guten Standard der nWoD-Bücher. Positiv ist allerdings anzumerken, dass die Anzahl der Layouter-Pannen gegenüber etwa der „Armory“ wieder zurückgegangen ist, auch wenn die von White Wolf engagierte Layout-Firma „Scribendi.com“ nach wie vor nicht gerade durch Gründlichket oder Kompetenz auffällt.

Worum geht es dieses mal also? „Tales“ berichtet von einer fiktiven Polizeistation, dem 13. „Precinct“ („Bezirk“ ist eine Übersetzung, aber nicht wirklich eine Entsprechung) der ebenfalls nicht näher beschriebenen, fiktiven Stadt Midway. Das Buch verwendet dieses Szenario als Aufhänger, um rund herum zwei Dinge darzustellen – die archetypische, ans Rollenspiel angepasste Arbeit amerikanischer Polizeibehörden sowie das Zusammentreffen der düsteren WoD, einer Welt des Übernatürlichen, und einer Gruppe Sterblicher, deren Job es nunmal ist, ungeklärte Vorgänge zu hinterfragen. Schöner Aufhänger, keine Frage – aber mal sehen, was draus geworden ist.

Nach dem etwas atypischen strukturierten „Skinchangers“ gibt sich „Tales“ wieder recht klassisch: Auf Prolog und Einleitung folgen vier Kapitel, die von einem Appendix mit Beispielabenteuer abgeschlossen werden. Naja, aber warum auch ein System, das sich bewährt hat, ändern?
Allerdings sei an dieser Stelle ausnahmsweise auch die Einleitung kurz erwähnt, denn anders als sonst ist die hier keine reine Vorschau auf das Buch. Ebenfalls hier zu finden sind vier Seiten allgemeinen Erläuterung, vornehmlich zu den ganzen Radio Codes der USA. Zwei „Funk-Alphabete“ (Alpha, Bravo, Charlie, Delta, Echo für Militärs und Adam, Boy, Charles, David, Edward für MPD-Cops), die gängigen Polizeicodes („Code Eleven“, 10-4 etc.) sowie Call Signs und Akronyme werden präsentiert. Das ist ungeheuer nützlich und fällt mal wieder in die „Viel Atmosphäre durch sehr kleine Gesten“-Kategorie.
Schmerzlich gefehlt hat mir dagegen hier eine Suggested Viewings-Liste. Wo sind denn all die Empfehlungen von C.O.P.S. und NYPD Blue, wo ist die Verbeugung vor dem vielleicht ja gar titelgebenden Carpenter-Film „The Assault“ respektive dem Remake „Assault on Precinct 13“? Egal wo sie sind, im Buch jedenfalls nicht.
Einen dezenten Abzug bei der B-Note dafür.

Das reguläre erste Kapitel widmet sich dann unter dem Titel „The Cop Shop“ erst einmkal dem Polizeigebäude an sich. Sieben Seiten kurz, mit zwei Gebäudeplänen und abseits der Kapitelillu keinen weiteren Bildern ausgestattet kriegt man hier einen kurzen, prägnanten und bereits erstaunlich Plot-inspirierenden Überblick über das Gebäude und die darin befindlichen Räumlichkeiten. Gerade das „Officer‘s Prayer“ und die urbane Legende um Zelle 4 zeigen bereits, in welche Richtung das Buch wohl gehen wird: Viele spannende Fakten, umwoben mit Elementen, die es zu einem Teil der WoD machen.

Kapitel 2, „Ride-Along“, ist mit brachialen 56 Seiten sicherlich das Herzstück des Bandes. Hier wird die Organisation und die Vorgehensweise des Midway Police Departments (MPD) beschrieben. Das Buch schafft es dabei auf beeindruckende Weise, gleich vier Dinge unter einen Hut zu bringen: Es beschreibt das MPD konkret genug, um sich für diesen speziellen Precinct ein Bild machen zu können, aber so sehr in einem Kontext plaziert, dass man mit dem Wissen auch andere Polizei-Behörden darstellen kann. Außerdem stellt es gezielt Unterschiede zwischen den Schilderungen und dem realen Polizei-Alltag dar und nimmt abschließend all dies, und platziert es wieder in den übernatürlichen Kontext der WoD.
Nehmen wir die Hunde als Beispiel dafür. „K-9 Unit“ ist die einfache Überschrift für den zwei Absätze langen Abschnitt über die Hundestaffel des MPD, die im achten Precinct untergebracht ist. Hier erfährt man, wie das in Midway geregelt ist, wo die Hunde nebst Eigner den Tag verbringen, um schnell verfügbar zu sein, dass die Leute dort gerne arbeiten, da die Uniform-Vorgangen lockerer sind etc. Dazu gibt es dann aber noch den Textkasten „It‘s a Dog Cop‘s Life“. Darin werden generelle Anregungen gegeben, wie das Verhältnis zwischen Polizist und Hund ist (und warum es keine „Haustiere“ sind) und wie da weitere Regelungen in den Staaten sind, etwa ob man den Hund mit nach Hause nehmen darf. Abgerundet wird der Kasten mit Anmerkungen dazu, wie sich die geschärften Sinne der Polizeihunde in Kombination mit der allgemeinen Neigung von Tieren, das Übernatürliche eher zu bemerken, auf das Spiel auswirken und wo die Vor- und Nachteile eines Diensthundes sind, wenn man etwa auf einen Geist trifft. Toll, absolut toll.
Im Gegensatz zur „Armory“, bei der mich die gesteigerte Realitätsnähe und Faktendichte ja eher gestört hatten, stimmt hier vor allem das Verhältnis zwischen den vier Eckpfeilern MPD/allgemeine Polizei/Realität/WoD.
Die Themenbreite ist dabei gewaltig und umfasst wirklich so ziemlich alles von den „Rookie“-Fahrten („Training Day“ kommt in den Sinn) über die Hundestaffel, das „Emergency Response Unit“ betitelte SWAT-Themengebiet, Spurensicherung, Mordezernat und Internal Affairs Department bis hin zu den Cops, die in Hubschraubern über den Highways kreisen. Einfach alles drin und kaum etwas ohne WoD-Plot-Ansatz.
Auch die Regeln sind gut bemessen und wo man sie findet sinnvoll – so gibt es etwa Maßgaben, was ein Cop-Spielercharakter so können sollte. Definitiv sinnvoll und in verschiedene Spezialgebiete untergliedert. Insgesamt ein schöner Hauptteil.

Im dritten Kapitel, „Roll Call“, folgen dann die NSCs zum Precinct. Erst war ich etwas abgeschreckt, da ich nun wirklich kein Fan der teils recht großen NSC-Kapitel bin, die man bisweilen in den WW-Büchern findet. Aber das 27 Seiten lange Kapitel ist anders, als gedacht.
Naturgemäß stellt es eben die komplette Palette an Charakteren vor, die man rund um Abenteuer mit dem MPD braucht. Untergliedert in „Officers and Detectives“, „Ambulance 130“ und „Civilian Staff“ findet man hier insgesamt 24 Charaktere mit umfassender Beschreibung und Wertekasten. Das Verhältnis der „um das Übernatürliche wissenden“ Charaktere ist erstaunlich und erfreulich hoch und vermittelt mal wieder ein etwas glaubwürdigeres Bild der WoD. Auch gut finde ich, dass nicht jeder dritte Charakter eben Vampir, Werwolf oder Magus ist, sondern da allenfalls mal Einflüsse zu spüren sind. Ein weiteres Beispiel, leicht spoilernd, wieder aus dem Hundeumfeld:
Sgr. Sammy Atkinson ist ein zuständiger K9-Offizier. Er ist nicht der cleverste Bursche, wird aber im Text als „good ol‘ boy“ dargestellt. Er ist nett, ist gut darin, multikulturelle Fettnäpfchen mitzunehmen und hat ein wenig familliären Background. Ein durch und durch netter NSC, den man gerne einbaut.
Sein Hund dagegen, Schäferhund Kita, ist von einem Hundegeist ergriffen. Der daraus entstandene duguthim ist jetzt weder per se bösartig, aber der Geist, „Huntsman‘s Companion“ geheißen, hat einen – sagen wir mal übermäßigen – Beschützerinstinkt. Insofern ist Kita jetzt kein infernalischer Schurke, aber eben das so oft beschrieene Böse direkt vor der eigenen Haustüre.
Auf die Art und Weise funktionieren all die NSCs in dem Buch, werden aber noch durch Gimmciks wie „Bailey‘s“ – die archetypische Kneipe für den Cop nach Feierabend – angereichert.

Hier endet der Spoiler.
Das folgende vierte Kapitel ist zweigeteilgt. „The Blotter“ heißt es und gliedert sich in einen abrundenden Essay namens „The Thin Blue Line“, der sich mit einigen der wichtigsten Eckpunkte der Darstellung von Polizeiarbeit im Rollenspiel befasst, sowie einen längeren Abschnitt namens „To Protect and Serve“, der im Grunde Abenteuerideen für den 13th Precinct liefert, die man aber auch leicht an andere Orte transferieren könnte.
Sieben Stück sind es, meist so zweieinhalb bis drei Seiten lang, einer jedoch kaum länger als eine Seite. Sie sind nach Straftaten aufgeteilt, so dass „Sacrifices“ eben um Tierverstümmelungen, „Territorial Concerns“ dagegen von unbefungtem Betreten handelt.
Der Aufbau der Ideen folgt dabei immer dem gleichen Grundmodell: „The Call“ beschreibt den Aufhänger, „The Twist“ die wahren Vorgänge und „Outcomes“ mögliche Abschlüsse. Dahinter folgen dann NSC-Werte und abschließend bei einigen noch ein Vorschlag, wie man das Szenario aus Sicht des oder der Übernatürlichen spielen kann.
Zu dem Kapitel fällt es schwer, viel zu sagen, ohne richtig dick zu spoilern, daher sei es dabei belassen zu sagen, dass mir der Aufbau, der Schreibstil und auch die Ideen gut gefallen haben. Zwar kamen auch beim Lesen schon viele tolle Szenarien in den Sinn, aber wer noch etwas Zündstoff braucht, der wird hier fündig.

Noch stärker Starthilfe gebend und gleichzeitig noch Spoiler-gefährdeter ist der Appendix „The Subtle Key“, denn wie zuletzt auch „Second Sight“, so mündet auch „Tales“ in einem Szenario. Es gilt die generische Kritik, die ich seinerzeit schrieb, natürlich auch hier: Möchte ich das Abenteuer spielen, spiele ich es ein Mal und trage danach jedes Mal zwölf komplett unnötige Textseiten zur Sitzung; will ich es nicht mal verwenden, so ist der Ballast von Anfang an nutzlos.
Wäre es nicht möglich, diese Szenarien zum Download anzubieten, meinetwegen auch für ein, zwei Dollar als kommerzielle PDF oder wie verschiedenes Material bei LodlanD an einen Registrier-Code im Buch gebunden? Dann müsste ich die Seiten nicht mitschleppen, hätte aber dennoch zugriff dadrauf und WW müsste nicht klagen, so etwas verschenken zu müssen. Naja, die Debatte ist an dieser Stelle rein rhetorisch, daher objektiv zu Abenteuer:
Das ist gut. Es revolutioniert den Markt nicht, aber es ist für sich genommen gut gemacht und bietet allerlei Anregungen für weitere Szenarien, ließe sich vielleicht gar zu einer Mini-Kampagne ausbauen. Ob man es, abseits der allgemeinen Kritik, in einem Band mit derart vielen Abenteueranregungen gebraucht hätte, bleibt aber auch fraglich.

Abschließend gesprochen ist „Tales from the 13th Precinct“ aber ein kleines Meisterstück geworden. Mit Ausnahme des Abenteuers ist jedes Kapitel für so ziemlich jeden Spielleiter, der etwas mit Polizei machen möchte, nützlich und inspirierend. Hat er gar noch kein eigenes Setting, so ist das MPD sicherlich eine tolle Möglichkeit, um spannende Abenteuer zu erleben.
Der Schreibstil ist durchweg gut und locker, es sind genug Fakten enthalten, ohne das es dröge wird, und der Verstand eines Erzählers dürfte auf Hochtouren drehen ob all der tollen Inspirationen, die es in den Text geschafft haben. Der Band ist ein klarer Vertreter der seltenen, glatten und reibungslosen Endnote „sehr gut“.
Zugreifen!


Name: Tales from the 13th Precinct {jcomments on}
Verlag: White Wolf 
Sprache: Englisch
Autoren: Alan Alexander und Clayton Oliver
Empf. VK.: 26,99 US-Dollar 
Seiten: 144