nWoD - Innocents

„But dad looked at me and then he hugged me,
and he went upstairs to his office. And what really
scares me is that I think he knows I'm right.

I think he remembers.
I think he used to see them, too.
He just doesn't know how to tell me.“
vom Backcover von Innocents

Nachdem ich also vergangene Woche mit „Dogs of War“ einen absoluten Tiefpunkt in er Palette von White Wolf passiert habe, wollte ich mir für dieses Mal noch mal etwas gönnen. Das Buch, das vor mir liegt, ist eines, auf das ich mich schon wirklich lange gefreut habe: „Innocents“.
„Innocents“ schlägt in eine sehr unverbrauchte Kerbe, die bisher eigentlich alleine vom unstrittenen „Kleine Ängste“ besetzt wird: Man spielt Kinder. Und weil das ein recht spezielles Thema ist, hat man bei White Wolf was ganz und gar interessantes gemacht, und aus dem Buch ein eigenständiges Grundregelwerk gemacht. Richtig, kein Fatsplat, sondern ein umfassendes und komplettes Regelbuch, mit Charaktererschaffung und allem drum und dran.

Optisch ist das Buch toll geraten. Das Cover zeigt eine diffuse, aber finster und gruselig aussehende Wand sowie einen Lüftungsschacht, aus dem ein kleiner Junge vorsichtig herauslugt. Das sieht toll aus, Sam Arraya in Höchstform. Auch beim Buchinneren lässt man sich nicht lumpen und präsentiert das weitestgehend vertraute Layout mit tollen Illustrationen – und Kinderzeichnungen.
Da macht es direkt Spaß, in das Buch hineinzublättern und mit der Lektüre zu beginnen.

Das Buch erstreckt sich über acht Kapitel, umrahmt von einem Prolog und einem Appendix. Dabei demonstrieren White Wolf souverän all ihre gewohnten Tugenden und bieten gut geschriebene Texte zum Spiel, liefern angenehm einfache Regeln – halt großteilig das bekannte System – und schöne Anregungen, was man mit dem Präsentierten so anstellen kann.
Auf eine irgendwie aufgezwungene 5x5-Aufteilung möglicher Subklassen hat man dabei verzichtet; Kinder sind hier ganz normale Sterbliche. Bei den Attributen gibt es auch keinen großen Unterschied zu erwachsenen Menschen, bei den Skills allerdings schon. Das Spiel listet Skillpunkte nach Altersklassen auf, mit erwachsenen Charakteren am oberen Ende (11/7/4, 3 Spezialisierungen) und sieben Jahren als Einstiegsmarke (6/4/2, 1 Spezialisierung). Neue Vorteile wie das absolut grandiose „Fighting Style: Playground Dogpile“ sind da ebenfalls sehr angenehme Bereicherungen.
Das Buch erklärt dann, wie zu Zeiten der oWoD, auch das gesamte Würfelsystem noch mal, macht es aber charmant und mit vielen schönen, auf die jungen Protagonisten zugeschnittenen Beispielen. Warum man sich dazu entschieden hat, hier keinen Ergänzungs-, sondern einen alternativen Grundband zu konstruieren weiß ich offen gestanden nicht so genau, vermutlich aber wohl, weil man ein großes Marktpotential für das Spiel sah. Ich lasse das an dieser Stelle mal offen und beschränke mich stattdessen auf die Anmerkungen, dass es aber, für sich betrachtet, sehr schön gelungen ist.

Die wahre Stärke des Spiels liegt allerdings gar nicht so sehr in den Regeln, sondern mehr in den Text drum herum. Zum einen sollte man da die Szenarien erwähnen, denen das Buch ein ganzes Kapitel widmet. Anders als die meisten WoD-Bücher präsentiert „Innocents“ dahingehend auch keine Sammlung kurzer Handlungsideen, sondern gleich fünf richtig ausgewachsene Konzepte.
„With a Song in My Heart“ konfrontiert sie mit einem mordenden Lehrer, „What Are Litte Boys Made Of?“ dagegen gleich mit dem Erbe eines alten Kults unter ihrer Schule. Also ganz klassisch: Die Kinder wissen um kosmisches Übel, die Lehrer hören nicht auf sie.
„High, Sweet, Evil Laughter“ bringt einen kosmischen Konflikt um tote Kinder auf der einen und den Versuch der Gehirnwäsche auf der anderen Seite mit sich, „Mountain Mother“ führt sie hingegen auf der Suche nach einem verschwundenen Jungen in die „nahe gelegenen Höhlen“.
„The Forever Club“, zuletzt, behandelt eine alte Frau, die versucht dem Tod zu entrinnen, indem sie Kindern ihre Jugend stiehlt.
Alles schöne Ideen, die auch noch sehr stimmungsvoll umgesetzt wurden, inklusive voll ausgearbeiteter NSCs. Hat mir sehr gut gefallen.

Aber noch schöner sind die Essays geraten. Japp, Essays. Man hat richtig viele Texte und Materialien in das Buch gesteckt, die es dem Spielleiter wie auch den Spielern einfacher machen sollen, in die Rollen der Kinder zu schlüpfen. Das ist zweifelsohne eine der größten Herausforderungen für einen Rollenspieler, denn der kindliche Geist ist doch eine sehr komplexe Sache. Dass aber sogar schon Spieler aus einer anderen Runde, die ich gerade mit Kindercharakteren spiele, mich fragten, ob sie mal in das vorliegende WoD-Buch reinlesen könnten, um dort Anregungen zu finden, spricht für „Innocents“. Dass sie diese auch fanden noch einmal umso mehr.
Dabei gibt es einige kurze Texte zu ganz grundlegenden Elementen kindlicher Schauergeschichten genauso wie zur Psychologie von Kindern, zu ihrer Art, die Welt wahrzunehmen und dergleichen mehr.

Verbleibt abschließend noch kurz der Vergleich zur Konkurrenz. Obwohl „Innocents“ durchaus ein extrem schönes Buch geworden ist, hat es mich optisch nicht so sehr begeistert wie Oliver Grautes Layout-Kleinod, das er mit der deutschen Fassung von „Kleine Ängste“ hingelegt hat. Damit hat es sich aber eigentlich auch schon fast mit den Vorzügen des Klassikers.
Zwar hat „Kleine Ängste“ einige wirklich schöne Elemente, um auch sprachlich das Kinder-Thema zu vermitteln, etwa die „Gummipunkte“ bei der Charaktererschaffung, allerdings punktet „Innocents“ dahingehend vielmehr auf einer inhaltlichen Ebene. Vor allem aber empfinde ich es als ich es einen gewaltigen Pluspunkt, dass man bei dem WoD-Buch auf die ganze Psychologie-Misshandlungs-Ebene verzichtet hat. Sicherlich, wer jetzt unbedingt „Tideland“ spielen will, der wird bei „Kleine Ängste“ besser unterstützt (allerdings, auch das sei gesagt, bei „Innocents“ nicht gehindert), aber dafür wirkt der Inhalt des WoD-Buches insgesamt einfach viel weniger schmierig und hemmend. „Kleine Ängste“ bleibt einem im Halse stecken, wo „Innocents“ wohlige Schauer über den Rücken jagt.
Und ich weiß, woran ich persönlich mehr Spaß habe.

Alles in allem ist es ein tolles Buch geworden, voller guter Ideen, toll geschrieben, von der „Suggested Media“-Liste bis zu den Essays superb recherchiert und einfach von vorne bis hinten etwas, was den Spielspaß mit der Runde am Spieltisch erweitert. Was ein gutes Buch im Rollenspiel-Sektor halt leisten soll. 34,99 US-Dollar ist auch nur fair, wenn man den Umfang von 264 Seiten bedenkt.
Eine allenfalls durch das Thema bedingt etwas spezielle, aber dennoch ganz dicke Empfehlung!


Name: WoD: Innocents {jcomments on}
Verlag: White Wolf 
Sprache: Englisch
Autoren: Jess Hartley, Howard Ingham, Myranda Kalis, Ellen P. Kiley, James Kiley, Mike Lee, Michelle Lyons, Matthew McFarland
Empf. VK.: 34,99 US-Dollar 
Seiten: 266