nWoD – Armory

It‘s the golden rule, my man, the golden rule.
„Thou shalt SHOOT
the CRAZIES in the HEART
BEFORE they
come bite the
heart out of YOU.“
vom Backcover von WoD – Armory

Als White Wolf „Antagonists“ für die nWoD als generischen Quellenband ankündigten, da konnte ich das nachvollziehen. „Mysterious Places“ auch. „Ghost Stories“ sowieso. Als aber dann für den Februar 2006 plötzlich ein Buch namens „Armory“ angekündigt wurde, da fand ich das schon eher befremdlich.
Bei einem Fantasy-System, klar, da macht das Sinn. „Kaiser Retos Waffenkammer“ war nicht umsonst über viele Jahre der meistgekaufte DSA-Ergänzungsband. Aber selbst bei Warhammer FRP 2nd, immerhin auch Fantasy, erwies sich die „Old World Armoury“ als inhaltlich enttäuschende Lachnummer mit ebenso mannigfaltigem wie nutzlosem Füllwerk.
Was konnte ich mir nun also von einem immerhin 216 Seiten schweren Hardcover erhoffen, dass mir Equipment für ein betont nicht auf Regeln, sondern auf Geschichten fußendes System wie die (generische) WoD präsentiert?

Das Cover des Bandes ist von ausnehmender Undeutlichkeit, zeigt mutmaßlich einen Flur, SEK-Kräfte und grell-violett leuchtende Tentakel. Nee, ist klar. Dass ich das zudem als Thumbnail nicht mal erkennen konnte, steigerte meine Vorfreude ganz sicher nicht. Auch nicht der Backcovertext, der – ganz ehrlich – die Messlatte für den wohl saublödesten RPG-Cover-Spruch aller Zeiten in unermessliche Höhen gehievt hat.

Nun liegt es neben mir und erstrahlt im gewohnten Design, mit mattem Cover, laminierten glanzelementen und schwarzweißem Innendruck. Es ist das erste Buch gewesen, dass White Wolf in China haben drucken lassen und weist, kurios genug, dabei deutlich weniger Pannen auf als der zweite Titel von dort, den „Requiem Chronicler‘s Guide“ – eine Rezi gibt es bei uns ja auch seit einigen Wochen.
Papier und Einband stimmen hier, allerdings ist die Bindung etwas wackelig und ist bei beiden, in meinem Bekanntenkreis kursierenden Exemplaren (also meinem und dem von [scimi]) bereits angebrochen. Wenn Kanadier „Chicago“ mit 400+ Seiten zum Halten bringen, kann mir hier auch keiner sagen, dass das am Umfang läge.
Ärgerlicher noch sind einige Pannen im Layout. Vor allem betrifft das die „Textkästen“. Diese sind, wie immer in der nWoD, nicht wirklich umranded, sondern diese oben und unten angestrichenen, serifenlos gesetzten Absätze. Schön und gut, nur dass der Layouter die hier mehrfach zu früh „zu gemacht“ hat. Was ich meine? Es gibt da einen Kasten über Granatenregeln (Diskussion des Inhalts folgt sofort). Der ist schön und gut, erklärt unter anderem auch ausführlich, wie die Schadensabwicklung geregelt ist. Dazu gibt es dann auch ein Beispiel ... nur das Beispiel folgt, nachdem der Kasten schon beendet wurde. Das kann doch niemals so gedacht sein?
Die Bilder im Buch sind dagegen schön, könnten aber nach meinem Dafürhalten einfach mal mehr sein. Aber alle Leute, die schon die anderen generischen Bände zu optischen Erlebnissen gemacht haben, sind auch hier wieder am Werk; und die Kapitelbilder von Samuel Araya sind teilweise wunderschön geworden.

Kommen wir nach all der langen Vorrede aber nun endlich zum Inhalt. Nach einem Prolog und der obligatorischen Einleitung (die bei den empfohlenen Quellen auch Half-Life aufführt, das machte ja schon Mut) folgen sechs Kapitel und ein Appendix. Die ersten fünf Kapitel werde ich dann aber auch in einem Abwasch hier angehen, hören sie doch nacheinander auf die Namen „Melee Weaponry“, „Firearms and Ranged Weaponry“, „Tactical and Heavy Weaponry“, „Vehicles“ und „Equipment and Accessories“.
Da gibt es dann genau das, was die Titel vermuten lassen. Zwar hat man sich nicht entblödet, wirklich jede erhältliche Waffe abzudecken, aber mir persönlich wurde es da teilweise schnell etwas bunt. Ich meine, es ist wenigstens kein „Straßensamurai-Katalog“ geworden, aber wenn man nun etwa schon die Wete für eine Generic .45 ACP (Damage 3, Range 30/60/120, Capacity 8+1, Min. Strength 2, Size 1/S) hat, brauche ich dann echt noch Werte für eine Colt M1911A1 /Damage 3, Range 30/60/120, Capacity 7+1, Min. Strength 2, Size 1/S)?
Man muss allerdings anerkennen, dass die Autoren sich große Mühe gegeben haben, es nicht in einer reinen Materialschlacht enden zu lassen.
Bleiben wir bei den Schusswaffen. Da erfahren wir zunächst, wie Pistolen eigentlich funktionieren, wie man mit Pistolen zielt, etwa auch im Unterschied zu einem Gewehr oder einer Shotgun, wie Ballistik funktioniert, warum Kugeln so viel Schaden anrichten und warum das nicht für Vampire gilt, wie Rückstoß funktioniert, was es für verschiede Nachladesysteme und -techniken gibt, was für Magazinsorten existieren, ein Glossar zum Thema, wie Zivilisten an Schusswaffen ausgebildet werden und wo sie das, legal wie illegal, machen können, was für Sicherheitsregeln es mit Schusswaffen zu beachten gibt, was für Schusswettbewerbsformen existieren, was für weiterführende Ausbildungen es gibt, was man von, Zitat, „Ninja Gun-Fu Assassin Clans of the Dark Future“ halten soll und dann, zu jeder Schusswaffenuntergruppe, noch Hinweise, was dafür und was dagegen spricht.
Das ist viel, oder?

Tatsächlich habe ich mehrfach festgestellt, dass ich beim Lesen der Crunch-Kapitel der „Armory“ wirklich etwas dazugelernt habe. So wusste ich Wehrdienstverweigerer schlicht nicht, dass Shotguns normalerweise gar keine Streuwirkung mehr haben, da kein Schrot, sondern Slugs verschossen werden, Metallzylinder also. Oder, wie genau diese coolen „Flammenwerfer-Patronen“ für die Dinger funktionieren.
Oder, um mal von den Schießeisen wegzukommen, dass man Granatenstifte aufgrund ihrer Schwergängigkeit nicht mit den Zähnen ziehen kann. Oder, dass eine „nail gun“ tatsächlich mehr Kraft aufbringt als manche Faustfeuerwaffe und ihre Nägel sogar durch den dicksten Teil eines menschlichen Schädels treibt.
Besonders schön fand ich allerdings, dass man sich eindeutig Mühe gegeben hat, diese kleinen Eigenheiten auch in Regeltermini zu simulieren. Das regt manchmal schon zum Schmunzeln an und sollte auch immer mit einem leichten Deut Ironie gelesen werden, macht sich dann aber durchaus sehr gut. So gibt eine laufende Kettensäge ihrem Träger etwa einen +1-Bonus auf die Defense, da ein Angreifer eben erst einmal an den rotierenden Zähnen vorbei muss. Und deren furchtbare Wirkung wirkt zwar durch einen -1(L)-Schaden eher gering, was jedoch durch eine Anwendung von 8 again mehr als relativiert wird.
Ein Bandschleifer dagegen hat eine effektive Reichweite von zehn Fuß – durch das Stromkabel. Dafür kann der Erzähler einem Charakter, der durch dieses Dingen auf 0 Health gebracht wird, einen permanenten -1-Malus auf Presence durch furchtbare und entstellende Narben geben.

Doch so nett die Ideen sind, so skeptisch stehe ich ihnen in ihrer Anwendung am Spieltisch gegenüber. Es mag ja mal nützlich sein, entsprechend einen Mechanismus an die Hand gegeben zu bekommen, aber alle am Tisch sollten das Buch strengstens als Optional ansehen.
Wenn aber die Spieler schon gezielt in Kampfsituationen nach Löschschläuchen fragen, weil sie ja nunmal Werte für das Dingen haben und gerne damit jemanden Verhauen wollen, dann beschädigt das Buch für mich den „Storytelling“-Gedanken der WoD regelrecht, stört den sonst so einfachen und regelarmen Spielfluß. Ich meine, klar kann ich Leute mit dem Stromkabel meines Fernsehers strangulieren. Aber brauche ich dafür explizit modifizierte Regeln, wie hier gegeben?
Wohl eher nicht.

Das sechste Kapitel ist dann noch einmal ganz anders arrangiert. Zwei Themenkompexe werden hier behandelt: realweltliches Waffenrecht und Schwarzmarktgeschäfte. Letztere geben sich recht unspektakulär, die Gesetzesabschnitte dagegen sind durchaus informativ. Zwar liegt ein eindeutiger Schwerpunkt auf den USA, doch andere Länder erhalten auch ihren langen Absatz. Im Bezug auf Deutschland, das einzige Land, wo mir das Waffengesetz halbwegs bekannt ist, stimmen diese Informationen sogar, wenn sie auch etwas um die Ecke herum formuliert wurden.
Der Appendix dagegen ist reinste Regelwelt. Sechseinhalb Seiten mit neuen Merits findet man hier, die in den Bereichen Mental (zwei Stück) und Physical (acht Stück arrangiert wurden. Geistig gibt es Spezialkenntnisse im Technikbereich und Kenntnisse vom Umgang mit Bomben zur Auswahl, körperlich sind es alles Kampfstile, namentlich Archery, Chain Weapons, Combat Marksmanship, Fencing, Filipino Martial Arts, Sniping, Spetsnaz Knife Fighting und Staff Figiting. Die sind gut und ein Textkasten lädt auch implizit zum fröhlichen Modifizieren ein, aber eine Offenbarung sucht man hier natürlich auch vergebens.

Abschließend hat mich die Armory durchaus positiv überraschen, aber nicht ganz überzeugen können. Es ist ein exzellent geschriebenes Buch über Waffen und Ausrüstungsgegenstände in der WoD, das auch dem Thema vermutlich wirklich alles herausholt, was man sich vorstellen kann. Nur ist und bleibt es eben ein großes Waffenkompendium zur WoD. Und das braucht eigentlich (fast) niemand.
Die neuen Mechanismen in dem Buch sind zwar nett, aber im Endeffekt nichts, was man mit gesundem Sachverständ nicht auch problemlos lösen könnte. Der große, negative Effekt dagegen ist eben eine eindeutige Ausweitung der Regeln des Spiels, was meinem grundlegenden Verständnis der Idee hinter dem „Storytelling“-System einfach zuwider läuft.

Wer in seiner Kampagne wirklich viel mit Waffen agiert, den notwendigen Realismus will und gerne Regeln mag, der sollte dem Buch mal einen Blick zuwerfen. Wem es dagegen vor allem auf die Erzählungen an sich geht und/oder wer einfach keinen Wert auf eine vollständige Regelabdeckung diverser Sonderfälle wert legt, der braucht die Armory im Grunde keine Sekunde lang.
Sicher, das Buch ist inhaltlich einfach gut geraten, gar keine Frage. Nur werden wohl viele für die Inhalte dieses Bandes einfach keine Verwendung haben. Wer auf Waffen steht und wem das Thema etwas bedeutet, der setzt die Gesamtnote um zwei Stunden höher, alle anderen lesen das „befriedigende“ Buch im Laden vielleicht erst einmal quer, denn 29,99 US-$ sind leider auch eine recht nennenswerte Summe.


Name: Armory
Verlag: White Wolf 
Sprache: Englisch
Autoren: Clayton Oliver, Keith Taylor und Chuck Wendig
Empf. VK.: 29,99 US-Dollar
{jcomments on}Seiten: 215