The World of Darkness
Beneath skyscrapers
leering gargoyles,
factories belching smoke
and streets packed with
the human throng
lurk things we are
not meant to see.
vom Backcover von The World of Darkness
Nun, dieser Frage wollen wir hier in den kommenden Wochen in Form eines kleinen Rezensionsmarathon einmal nachgehen und den Anfang macht, wie sollte es anders sein, eben das Buch, das genauso heißt wie die Reihe.
„World of Darkness“ ist dabei ein Novum im Rahmen der WoD, denn erstmals werden hier frei von allen Subsysteme wie „Vampire“ oder „Mage“ die Regeln gesammelt und das Spielen von Sterblichen unterstützt. Waren bisher in jedem Hardcover-Band die kompletten Regeln noch einmal enthalten und brauchte man bei „Exalted“ immer das gleichnamige Buch zu den „Solar Exalted“, um etwa „Dragonblooded“ spielen zu können, genießen die neuen Systeme alle dieses Buch als gemeinsamen Referenzpunkt.
Egal ob man also das neue „Vampire: the Requiem“, „Werewolf: the Forsaken“ oder „Mage: the Awakening“ ist, die Grundregeln sind immer im vorliegenden 222 Seiten starken Buch zu finden.
Das hat den Vorteil, dass man auch in die WoD eintauchen kann, ohne gleich irgendeine übernatürliche Macht zu verkörpern, ist aber natürlich ein weiteres Buch, dass es auf dem Weg zur ersten Sitzung zu bezahlen gilt. Das rechnet sich, wenn man alle Systeme spielen möchte, ist aber ein Nachteil, will man jetzt etwa nur Werwölfe spielen.
222 Seiten erscheint zudem erstaunlich viel für das Storytelling-System, wenn man davon ausgeht, dass ja vornehmlich Regeln in dem vorliegenden Band sind. Das stimmt gewissermaßen auch, aber nur, weil hier endlich mal alles gebündelt und ausführlich beschrieben wird – merklich komplexer ist das Reglement nur in einigen Sonderfällen geworden.
Stellt sich die Frage, was sich denn nun gegenüber der alten WoD regeltechnisch geändert hat. Wer die alte WoD nicht kennt, der springe nun zum nächsten Absatz, allen anderen sei hier ein Grobüberblick gegeben: die alten, modularen Schwierigkeiten (im Sinne der vorgegebenen Würfelhöhen) sind weggefallen. Wie auch im „Advanced Storyteller System“ (kurz AST, welches in den Trinity-Spielen oder auch Exalted „tickt“) ist dieser Wert fest, allerdings liegt er hier bei 8. Richtig gelesen, die Wurfgrundschwierigkeit liegt bei 8, ist also ziemlich hoch. Wer dafür eine 10 würfelt, darf den Würfel erneut würfeln, bei weiteren 10en auch entsprechend weiter...
Schwierigkeiten werfen nicht wie beim AST durch eine Mindestanzahl von Erfolgen geregelt, sondern durch eine Verminderung des eigenen Pools. Würde der ins Negative sinken, so wirft man den s.g. „Chance Die“, also einen Würfel, den man immer hat. Zeigt dieser dann eine 1, so hat man gepatzt – die „Jeder zweite Schuss trifft meinen Kumpel“-Patzerregel der alten WoD (in der 1en ja Erfolge negierten) ist abgeschafft.
Andere Änderungen, auf die ich hier nun nicht mehr im Detail eingehen möchte, betreffen unter anderem die Charaktererschaffung (keine freien Zusatzpunkte mehr, Merits und Backgrounds wurden zusammen gelegt, Flaws bringen keine Punkte mehr), den Kampf (Angriff und Schadenswurf werden mit einer einzigen Probe umgesetzt!) sowie den Skill- und Attributesatz.
Einige Dinge, an denen sich ein paar meiner Spieler immer gestört haben, etwa das feste Verteilen von Prioritäten in den Fähigkeitskategorien, wurden dagegen beibehalten. Auffällig ist, dass man hier durchweg schwächere Charaktere heraus bekommt als früher. Wer 5/4/3 auf die Attribute und 11/7/4 auf die Fertigkeiten verteilt, ohne freie Zusatzpunkte zu haben, wird merken was ich meine.
Im Endeffekt kann man sagen, dass das neue WoD-System sehr leicht von der Hand geht, sehr simpel ist und, obgleich noch vereinfachter als etwa d20, erstaunlich realistische Ergebnisse liefert. Ich bin auch nach einem ersten Testspiel sehr angetan, sowohl was die Leichtigkeit betrifft, mit der es am Spieltisch Anwendung findet, als auch, was die Resultate betrifft.
Allerdings gibt es auch noch etwas Nachbesserungsbedarf, ganz perfekt sind die Regeln nicht, zumindest nicht bei wortgetreuer Auslegung. Da wird Turmspringen (so ins Schwimmbad, ihr wisst schon...) dank der „Terminal Velocity“-Regel schnell zur lebensbedrohlichen Situation, der Versuch, jemandem zu überfahren dank etwas ausufernder Regeln zumindest bei erster Anwendung dagegen erschreckend undynamisch. Wie kommt es eigentlich, dass jedes Regelwerk, dass versucht, Autos in Regeln zu kleiden, sei es nun Cthulhu, Shadowrun oder auch die WoD, immer so maßlos ausufert?
Andere Beispiele sind etwa komische Skillzuordnungen (wenn erste Hilfe über „Medicine“, eine Autopsie aber über „Science“ geregelt wird, kann ein Charakter mit einem Punkt Medicine und fünf Punkten Science hilflos beobachten, wie sein Kumpel ins Gras beißt, um Sekunden nach seinem Tod aufzuspringen und allen zurufen, dass es der Blutverlusst war, der ihn getötet hat) sowie etwas fragwürdig ausgewuchtete Vorteilskosten.
Allerdings – welches System hat so etwas nicht? Und wenn man nun beschaut, dass diese Kleinigkeiten durch kurze Errata leicht zu beheben sein werden und dass man im Austausch das wohl flüssigste System erhält, welches ich jemals gespielt habe (und das seit der ersten Testsitzung, welche normalerweise ja eher sperrig sind), dann kann man doch gut damit leben, oder?
Nachdem nun also klar gesagt ist, dass ich von den Regeln schlicht begeistert bin, was gibt die Welt her? Nun, das Buch ist da in vielem entsprechend vage. Das bedeutet aber nicht, dass es keine Informationen dazu gibt oder hier gespart wurde. Vielmehr ist die neue WoD insgesamt offen gestaltet, wie alleine das Kapitel zu Geistern in diesem Band zeigt. Es gibt nicht mehr jene in Stein gemeißelten, festen Regeln für alles. Man kann sich als Erzähler wunderbar austoben, kann seine eigenen Ideen umsetzen, ganz gleich ob die nun aus einem Quellenbuch, Akte X oder einer urbanen Legende herrühren.
Der Grundton ist auch wieder düsterer geworden. Zwar haben wir es nicht mehr, wie nominell früher der Fall, mit einem „Erzählspiel um persönlichen Horror“ zu tun, doch genau das ist es. Dabei kommt der Horror für Sterbliche gar nicht so sehr aus großen, bösen Netzwerken der Dunkelheit, sondern aus Einzelschicksalen und auch aus einfach aus den Menschen.
Das alte Konzept des „Gothic Punk“ wurde hier entsprechend aufgewertet und an die Zeit angepasst. Es rennt nicht mehr jeder in coolen Gothic-Klamotten herum, es ist nicht jeder zweite Typ auf der Straße gleich ein Vampir/Werwolf/Magus wie früher. Es sind Menschen. Egoistische, resignierte, freudlose, ausgekühlte Menschen.
Dabei ist jedoch zu erkennen, dass es schon ein stringetes und hartes Setting gibt. Das Buch ist mehr als zurückhaltend, was Informationen über die großen drei Reihen, die kommen sollten, betrifft, dennoch wirkt alles irgendwie ... ja, wie ein Setting.
Der Vorteil liegt nicht zuletzt darin, dass man dieses Buch auch gut in Spielerhände drücken kann, ohne dass sich diese gleich den Spielspaß zerspoilern. Denn wenn ich eines aus meinem Erfahrungen mit der alten WoD gelernt habe, dann, dass es am meisten Spaß macht, wenn man nicht weiß, worauf man sich einlässt.
Kurzum: das Setting macht auf den ersten Blick einen hervorragenden Eindruck. Es ist offen und lässt einen zugleich nicht alleine, ein Eindruck, der bei mir etwa beim ersten Lesen des Grundregelwerk der Konkurrenz in Form von „Unknown Armies“ durchaus aufkam.
Nein, es ist ein interessantes Setting, dessen Qualitäten oder Fehler sich allerdings vornehmlich in den nachfolgenden Bänden zeigen werden. Doch da ich diese schon quer gelesen habe, sei schonmal vorweg gegeben, dass diese Hoffnung nicht enttäuscht wird.
Dazu gesellt sich ein flüssig anwendbares, einfaches Regelsystem welches für mich persönlich das „Storytelling System“ wieder klar an die Spitze meiner Lieblingssysteme katapultiert.
Zuletzt ein Wort zur Aufmachung. Die WoD erscheint nun durchgängig im Hardcover, was aber dank des günstigen Dollar-Euro-Verhältnisses derzeit nur zu unserem Besten sein kann. Der Band ist wunderschön geworden, von außen wie von innen. Das Cover, eindeutig als Photomanipulation zu erkennen, sieht – matt aufgedruckt – hervorragend aus und vermittelt den Eindruck, egal wie man guckt nicht fokussierbar zu sein. In gewisser Weise wie das Grauen der neuen WoD, welches immer neue, offene Formen annehmen kann.
Das Innenartwork folgt etwas der Linie, die man hausintern etwa schon mit „Orpheus“ vorlegt hat: düstere Bilder und aufwendige Seitenränder machen es zu einer Freude, in „World of Darkness“ zu blättern. Definitives Highlight für mich ist dabei aber Sam Araya, der etwa schon durch die Cover der „All Flesh Must Be Eaten“-Ausgaben von Eden Studios bekannt sein kann, hier aber als so etwas wie ein noch besserer Christopher Shy den Leser verzückt.
Sieht man einmal von einem einzigen Ausrutscher (S. 73) ab, ein wunderschönes Buch, das nach den im Schnitt optisch eher mauen dritten Editionen der alten WoD wieder an alte Qualitäten anknüpft.
Sollte man dieses Spiel mit dem schönen Hintergrund, den wunderbaren Regeln und der überzeugenden Optik kaufen? Ich denke, die Frage ist rhetorisch und die Antwort kann nur „Ja!“ lauten.
Oder, wer ein persönlicheres Fazit will: ich war nach meiner letzten Kampagne in der alten WoD ziemlich ausgebrannt, was urban horror betraf. Dachte, mit dem Konzept vorerst durch zu sein ... seit „The World of Darkness“ kann ich es kaum erwarten, in das Setting einzutauchen...
Name: The World of Darkness {jcomments on}
Verlag: White Wolf
Sprache: Englisch
Autoren: Bill Bridges, Rick Chillot, Ken Cliffe und Mike Lee
Empf. VK.: 19,99 US-Dollar (ab der zweiten Auflage 24,99)
Seiten: 222