Talisman

Wenn es unter den Brettspielern im Fantasy-Segment ein Spiel gibt, das absoluten Kultstatus genießt, dann ist es zweifelsohne das Spiel „Talisman“. Das erschien erstmal 1983 bei Games Workshop und hat seither vier Editionen erfahren, deren letzte nach einigen Abenteuern von Black Industries zu Fantasy Flight Games gewandert ist.
Die deutsche Ausgabe erscheint in Zusammenarbeit von Pegasus Spiele, die das Spiel bereits umwarben, als auch dem Heidelberger Spieleverlag, der für die deutschen Versionen der Spiele von Fantasy Flight verantwortlich ist.
Wir haben es also mit einer Legende zu tun. Schauen wir mal rein...

Der Packungsinhalt
Das Spiel kommt in einem recht imposanten Karton daher, wie man ihn von dem ein oder anderen Brettspiel, etwa den Siedlern von Catan her kennt. Die Pappe ist dabei rau, was eine angenehme Erinnerung an alte Spielekartons darstellt, könnte für meinen Geschmack aber durchaus ein paar Gramm dicker sein.
Das Artwork der Verpackung ist, wie das des gesamten Spiels, grandios geraten. Sehr viele, sehr gute Künstler haben an dem Titel mitgewirkt und es macht Spaß, sich das Material einfach anzuschauen. Mangels Kenntnis älterer Editionen kann ich nicht sagen, wie viel hier erneut und wie viel erstmals verwendet wurde, aber es ist einfach hübsch.
Neben einem echt großen und stabilen Spielplan findet man in der Box noch einen ganzen Satz weiteres Material. 104 Abenteuer-, 24 Zauberspruch-, 28 Kauf- und 4 Talismankarten etwa. Hier wurde leider, meiner Meinung nach, am falschen Ende gespart und die Karten sind echt (!) klein ausgefallen. Eine der Karten misst knapp 4x6,5cm. Zum Vergleich: Eine normale Spielkarte ist 6x9 cm groß. Da sie zudem noch recht rutschig sind, war immer Bewegung auf dem Spieltisch. Im negativen Sinne.
Aber es ist ja noch mehr im Karton: 14 ordentlich verarbeitete Charakterkarten, jeweils mit zugehöriger Plastikspielfigur, das gleiche noch mal für vier Kröten (komme ich gleich zu), 40 Stärke-, Talent- und Lebenspunktemarker aus Plastik, vier Gesinnungskarten (hier wieder das kleine Flatterzeug), 36 dicke Schicksalmarker aus Pappe, 30 Plastikgoldmünzen, sechs recht schöne Würfel im Design des Spiels und eine Spielanleitung.
Die wiederum ist noch mal ein paar Worte der Erwähnung wert. Das Spiel ist nicht kompliziert. Es wird, so behauptet die Wikipedia nicht ganz ohne Grund, auch das „Fantasy-Mensch ärgere dich nicht“ genannt. Auf dem Spielplan steht, was bestimmte Felder machen, auf den Karten steht, was bestimmte Karten machen und eigentlich ist alles sehr, sehr selbsterklärend. Außer in der Anleitung. Auf sage und schreibe 24 Seiten breitet das Spiel sein Regelwerk aus und scheut sich auch nicht, den Ablauf eines einzelnen Zuges auf eine komplette A4-Seite in Form eines Flussdiagrammes zu bündeln. Im Spieltest führte das de facto dazu, dass erst niemand überhaupt Lust hatte, sich durch so ein immens kompliziert wirkendes Spiel zu arbeiten – bis dann jemand bemerkte, wie simpel es ist.
Alles in allem hat man hier 1,7 Kilo ordentliche Ausstattung, die nicht perfekt, aber insgesamt gefällig ist, sieht man mal von der etwas überkomplizierten Anleitung ab.

Das Spiel
Im Grunde ist das Spiel ein sehr einfaches, vor allem auf Glück basiertes Spiel. Das endgültige Ziel lauert in der Spielmitte und ist die „Krone der Macht“ getauft. Um das zu erreichen müssen die Spieler zuerst von der äußeren in die mittlere und von der mittleren in die innere Ebene wechseln. Diese sind stilistisch an klassische Fantasy-Themen angelehnt und bieten etwa in der lieben, äußeren Zone Dörfe, Städte und Felder, wohingegen dem innere Zirkel schon fast obskure Zonen wie (mein Favorit) die „Ebene der Todesgefahr“ lauern.
Um generell Erfolg zu haben, muss man das betreiben, was der Rollenspieler von heute vermutlich „leveln“ nennt – man verhaut Monster und erhöht mit den dadurch erhaltenen „Trophäen“ seine Werte. Sind die hoch genug, setzt man jeweils eine Ebene über und arbeitet daran, einen der titelgebenden Talismane zu ergattern. Hat man auch den, kann man sich letztlich die Krone der Herrschaft schnappen und auch seine Spielgefährten ausstechen, bzw. das Spiel gewinnen.

Das klingt ja soweit spannend, es gibt aber einen ganz, ganz gewaltigen Makel, mit dem das Spiel von der ersten Minute an zu kämpfen hat. Um sich zu Bewegen, würfelt man einen W6. Dann geht man die entsprechende Anzahl von Feldern in eine Richtung der eigenen Wahl – eine der wenigen, freien Entscheidungen im Spiel. Dort steht in der Regel, wie viele Abenteuerkarten gezogen werden sollen. Es entscheidet also der Zufall, was das Feld beherbergt. Vielleicht Waffen, vielleicht Wegbegleiter und Helfer, vielleicht Gegner. Sind es Gegner und kommt es zum Kampf, würfeln beide ein Mal einen W6 und addieren den Stärkewert der Kreatur bzw. der, vor Beginn des Spiels zufällig zugewiesenen, Heldenklasse darauf. Ist die Zahl des Spielers größer, ist das Biest tot, ist die des Monsters größer, verliert der Charakter einen Lebenspunkt.

Als hätte Faktor Zufall so nicht schon reiche Ernte genug, gibt es noch ein paar weitere Spielmodalitäten, die das Chaos erhöhen. So gibt es verschiedene Begebenheiten, die einen Charakter in eine Kröte verwandeln. Tun sie das, so verliert er fast alles (!), was er so bisher akquiriert hat. Das bleibt dann dort liegen, auf dass es ein anderer einsammelt. Zwar kann auch die Kröte es einsammeln, aber wenn sie das tut, gehen die Gegenstände erneut verloren, wenn der Kröteneffekt abfällt.

Im Grunde gibt es, sieht man mal von zwei, drei Ausnahmen ab, im ganzen Spiel eigentlich wirklich nur die Entscheidung, ob man links oder rechts herum gehen möchte. Ab da übernimmt das Flussdiagramm der Anleitung die Entscheidungen und man hangelt sich durch Ja/Nein-Modalitäten, bis der andere dran ist.
Zwar ist dabei alles sehr „phantastisch“ ausgearbeitet und stimmungsvoll benannt, das Spiel selber hingegen sehr anspruchslos. Langfristige Pläne, taktisches Spiel und dergleichen ist aufgrund der Unberechenbarkeit aller Begleitumstände nicht möglich.
Daher ist der Wikipedia-Vergleich auch durchaus passend: Das Spiel ist in etwa so taktisch wie „Mensch ärgere dich nicht“.

Erweiterungen
Bislang ist auf Deutsch eine Erweiterung für das Spiel erschienen. „Der Schnitter“ ist eine Übersetzung des englischen „The Reaper“ und erweitert das Spiel um einen ganzen Satz neuer Karten für, naja, eigentlich jeden Bereich.
Darüber hinaus ist in englischer Sprache noch ein „Upgrade Pack“ erschienen, das die Grundversion aktualisiert und nachbessert, sowie die Erweiterung „The Dungeon“, die dem Spiel eine ganz neue Ebene beschert.

Support
Sehr zu meiner Verblüffung verfügt Talisman über keinen eigenen Unterforenbereich bei Pegasus. Wer also Fragen hat, der kann sich zwar in der Rubrik „andere Brettspiele“ melden; da hatte ich dennoch mehr erwartet.
Ansonsten gibt es aber natürlich wie immer den üblichen, guten Webservice inklusive einer Möglichkeit, die ganze Anleitung herunterzuladen. Sicher praktisch, um das mehrfach erwähnte Flussdiagramm unter der Spielerschaft zu verteilen.
Beim Heidelberger Spieleverlag gibt es zudem auch die englischen Regeln sowie eine deutsche FAQ zum Spiel, die es auf vier Seiten noch mal schafft, eine ganze Reihe Unklarheiten der Formulierungen aufzuzeigen und zu beheben. Trauriger Höhepunkt der Datei ist allerdings der Hinweis auf Seite 4, dass man, wenn man mal gar nicht mehr weiter weiß, das Problem als „Ja/Nein“-Frage formulieren und einen W6 rollen solle; bei 1-3 sei die Antwort ja, bei 4-6 nein.
Naja.

Fazit
Ein endgültiges Urteil zu „Talisman“ fällt schwer. Es ist ein aufwendig aufgelegter, weitestgehend gut ausgestatteter Spielklassiker, der allerdings, in meinen Augen jedenfalls, dem Test des Zahns der Zeit nicht so wirklich trotzen kann.
Das Feld der Fantasy-Brettspiele ist anno 2009 kein unentdecktes Land mehr, und irgendwo zwischen „Descent“, „BattleLore“ und „Munchkin“ gibt es mittlerweile so viel Auswahl, dass ein Spiel schon etwas bieten muss, um zu überzeugen.
Leider stehen bei „Talisman“ die gute Ausstattung und der legendäre Ruf im direkten Konflikt mit der Qualität des Spieles an sich. Der Zufallsfaktor zerschlägt jedes taktisch orientiertere Spiel, die Zufallsmechanismen sind aber auch nicht frisch genug, um noch wirklich Spannung erzeugen zu können und es ist, für die simplen Abläufe, ungeheuer aufwendig und zudem auch noch eine sehr zeitintensive Unternehmung.

Wer nun eigentlich mit Fantasy gar nichts am Hut ab, absolut kein Interesse an eigenverantwortlichen Spielzügen und dennoch Lust hat, mal phantastische Abenteuer zu erleben, der ist bei dem Spiel möglicherweise genau richtig.
Alle anderen finden mittlerweile einfach viel zu viele bessere Alternativen auf dem Markt.

Ein abschließendes Lob geht übrigens noch an die deutsche Ausgabe – die nämlich mit ihren 39,95 Euro mal eben zwanzig Euro unter dem UVP der englischen Fassung liegt. Das gehört auf jeden Fall gelobt!


Name: Talisman 
Hersteller: Pegasus Spiele, Heidelberger Spieleverlag 
Sprache: Deutsch 
Spieler: 2-6 
Spieldauer: 90+ Minuten
Empf. VK.: 39,95 Euro {jcomments on}
Komplexität: unnötig hoch