Behind
Ehrlich gesagt bin ich kein großer Fan von sammelbaren Kartenspielen, ob man sie nun TCG (Trading Card Game) oder CCG (Collectible Card Game) nennt. Da muss man für viel Geld viele Packungen mit Karten (Booster) kaufen, weil die grundlegenden Karten aus der Anfangsbox (Starter) keine taktischen Optionen mehr bieten oder man einfach seinen Kartensatz (Deck) aufstocken möchte um bessere Chancen zu haben als sein Gegner.
Gerade der letzte Punkt führt oft zu einem Wettrüsten unter den Spieler. Und das Wettrüsten nicht nur teuer ist, sondern auch zu angespannten Verhältnissen führen kann, wissen wir nicht erst seit dem Kalten Krieg. Gerade junge Spieler bei dem Klassiker Magic oder bei seltsamen Formaten wie Yu-Gi-Oh oder Pokemon stehen oftmals unter starkem Druck. Es geht bei ihnen nicht nur darum seinen Gegner in einer Partie zu schlagen und dabei Spaß zu haben, sondern die besten, meisten und schönsten Karten zu besitzen. Kinder aus sozial schwachen Familien oder mit vernünftigen Eltern die ihren Kindern kein Geld für so einen Kram geben, werden oft gehänselt und ausgegrenzt. Und ich weiß nicht, wie oft ich im Bus schon kleinen Kindern zuhören musste, die mit tränenverhangenen Augen erzählten, das ihr Sammlung gestohlen worden sei. Von einem nur unwesentlich älteren Kind, das die Karten haben wollte...
Aber lassen wir mal die negative Weltsicht eines Rezensenten außen vor, dessen kleine, bunte und teure Karten von Dark Forces und Shadowrun in seinem Zimmer Staub ansetzen. Denn BEHIND macht einiges anders als andere TCGs.
Zum einen ist BEHIND nicht so teuer wie andere TCGs, was sehr positiv auffällt. Zum anderen kombiniert BEHIND auch TableTop Elemente. Und man benötigt nur die Karten und Charakterblips. Keine Zettel mit Lebensenergie, keine Manasteine, keine Würfel und auch kein Maßband, trotz der TableTop Elemente. Wie zur Hölle klappt das denn nun, mag man sich nun fragen.
Jeder Spieler sucht sich aus den Charakteren seiner Fraktion (Schwesternschaft, Tempelritter, Werwölfe, Geister und Vampire) für einen bestimmten Punktewert seine Favoriten aus. In jedem der Starter-Sets einer Fraktion gibt es runde Pappmarken, die diesen Charakter dann auf dem Spielfeld darstellen. Die Karte des Charakters verrät seine Werte, während man auf dem Chip nur ein Portrait, sowie den Blickwinkel und Toten Winkel der Figur. Wie bei TableTops üblich kann man sich nur in die Richtung bewegen und schießen, in die man blickt und der Gegner erhält Boni wenn er einen im Rücken angreift.
Der Rest der Karten kommt auf einen Stapel und die Spieler ziehen fünf Karten. Diese Karten sind dann Zauber, Ausrüstungsgegenstände, besondere Aktionen oder Orte. Das Ausspielen einer Karte kostet einen Spieler eine von drei Aktionen, die man auch zur Aktivierung der Charaktere auf dem Spielfeld nutzen kann. Das führt zu sehr interessanten taktischen Überlegungen. Soll ich nun meinen Charakter in den Nahkampf hinzuziehen, damit mein anderer Charakter Boni erhält oder rüste ich den Charakter lieber mit einem Schwert aus? Oder lasse ich beide Optionen links liegen und versuche mein Glück lieber in einer weiteren Nahkampfattacke? Reizvoll, doch... sehr reizvoll. Ehrlich gesagt, hätte ich es dem Spiel zuerst nicht zugetraut ein Kartenspiel so einfach, schnell und taktisch mit einem TableTop zu verknüpfen.
Aber ich möchte nochmal auf die nicht benötigten weiteren Spielmaterialien kommen. Man benötigt kein Maßband für die Charaktere, denn die Karten geben die Bewegungsoptionen eines Charakters vor. Es gibt aber keine einfachen Karten a la „Bewege deinen Charakter vor“, sondern man kann sich mittels jeder Karte weiterbewegen. Am linken Rand der Karte findet sich ein Strahl, der zusammen mit der Zahl unten links auf der Karte die Bewegung angibt. Der Strahl ist dreigeteilt und stellt die maximale Bewegung dar, die sich ein Charakter auf einmal bewegt werden kann. Sollte die Bewegungszahl unten links auf der Karte aber größer als eins ist, dann kann man den gleichen Charakter entweder nochmal so weit bewegen wie die Zahl angibt, oder einen seiner anderen Charaktere. Umfasst der Strahl ein Drittel der Kartenlänge und die Bewegungszahl ist drei, so kann man einen Charakter dreimal um dieses Drittel der Kartenlänge bewegen, oder drei Charaktere jeweils einmal, etc. Dadurch und durch die Schicksalszahl, zu der ich direkt im Anschluss komme, hat man praktisch nie unnütze Karten auf der Hand. Das beschleunigt das Spiel enorm und bietet keinen Leerlauf wie in anderen TCGs. Die Schicksalszahl, welche oben auf den Karten zu finden ist, ersetzt den Würfel. Diese Zahl wird für diverse Dinge verwendet, z.B. die Initiative. Beide Spieler decken am Anfang die oberste Karte ihres Stapels auf, vergleichen die Schicksalszahlen und der mit der höheren darf beginnen.
Das bietet mir auch eine nette Überleitung zu den Kampfregeln, den auch hier spielt die Schicksalszahl eine entscheidende Rolle. Haben sich zwei feindliche Charaktere im Nahkampf getroffen, darf der Spieler dessen Runde gerade läuft eine seiner drei Aktionen zum Angriff aufwenden. Jeder Charakter hat drei Werte: Stärke, Geschicklichkeit und Widerstand. Wichtig ist es, ein höheres Ergebnis zu erzielen als der Gegner. Dazu wird im Nahkampf zunächst der Stärkewert der beiden Charaktere verglichen. Darauf legen beide Spieler gleichzeitig eine Karte von ihrer Hand und addieren die Schicksalszahl der Karte hinzu. Hier muss man natürlich eiskalt Chancen abgleichen. Soll ich mein Schwert nutzen um im Nahkampf ordentlich Punkte zu gewinnen oder rüste ich damit lieber gleich meinen Charakter aus? Um dann noch etwas Glück in das Spiel zu integrieren, decken dann noch beide Spieler die oberste Karte ihres Stapels um und addieren noch die Schicksalszahl dieser Karte. Derjenige mit dem höheren Ergebnis hat den Kampf gewonnen, das kann also auch der Angegriffene sein! Der Sieger ermittelt die Differenz seines Nahkampfwertes mit dem des Unterlegenen und vergleicht diese dann mit dem Widerstandswert. Wurde er einmal erreicht, erhält der Charakter eine Verwundung. Sollte die Differenz das mehrfache des Widerstandswertes betragen, gibt es sogar mehrere Verwundungen. Es gibt nur vier Zustände: gesund, leicht verwundet, schwer verwundet und ausgeschaltet. Um den Verletzungsgrad anzuzeigen, wird die Karte des Verwundeten einfach gedreht. Verwundete Charaktere kämpfen übrigens schlechter, was keine Selbstverständlichkeit ist.
Der Fernkampf ist nur durch Ausrüstungsgegenstände wie Armbrüste, Sturmgewehre und Pistolen möglich. Es wird anstatt des Stärke- der Geschicklichkeitswert verwendet und wenn der Verteidiger den höheren Wert hat, trifft er natürlich nicht den Angreifer.
Da BEHIND einen ordentlichen Schuss TableTop hat, gibt es mehrere Szenarien und nicht das übliche „Ich hau' dir deine Lebenspunkte weg!“. Zwar sieht das Standardszenario vor alle Gegner auszuschalten, aber daneben stehen Missionen wie das Erobern von Spielfeldteilen oder das Bergen von Gegenständen. Diese Optionen stehen normalen TCGs einfach nicht zur Verfügung.
BEHIND finde ich ziemlich klasse. Es ist schnell, es ist einfach, es macht einfach Spaß. Der Knackpunkt für mich ist nur mal wieder das „Sammelbar“. Für die Rezi habe ich mir zumindest mal einen Booster zum Starter hinzugekauft um mir das halt mal anzusehen. Mir haben die Schwestern aus dem Starter schon richtig gut gefallen und der Booster hat mir gezeigt, wieso ich mir keinen weiteren Kram kaufen werde. Da die Booster alle Fraktionen unterstützen, habe ich jetzt Karten für Werwölfe, Templer und Geister, die ich schlicht nicht einsetzen kann. Ich will doch nur einige Karten der Schwestern, aber dafür müsste ich mir wohl einen ganzen Haufen Booster zulegen. Wer sich aber von so etwas nicht abschrecken lässt, wird mit BEHIND sehr viel Spaß haben. Ich spiele das Starter-Set zumindest immer wieder gerne, alleine nur um meine Gegner, die seltsamerweise immer die Vampire nehmen, mit den Schwestern zu verprügeln :).
Die sehr gelungene Homepage unter www.behind.de ist definitiv einen Besuch wert. In der Download-Sektion findet sich sogar ein Video, in welchem die Entwickler eine Partie BEHIND spielen. Das ist zum einen unterhaltsam und zum anderen bekommt man so das Spiel anschaulich erklärt.
S. Jakob und M. Palme{jcomments on}
fishtank / Ravensburger
1 Deck mit 40 Karten Schwestern
1 Deck mit 40 Karten Vampiren
25 Charakterchips
8 Geländechips
1 Regelheft
Preis: 9,99 EU