Enter the Matrix

Es hätte so schön werden sollen. „Matrix“ sollte 1999 die neue Art von Actionkino erfinden, etablieren und auf ewig verankern, die Sequels sollten eine neue Dimension von Spezialeffekten zeigen und Shiny Entertainment sollten sich nebenher auf dem Videospielemarkt zurückmelden. Denn seit dem großartigen „Earthworm Jim“ war es ruhig geworden. „MDK“ war ein gutes Actionspiel mit kleiner Fangemeinde, „Messiah“ so innovativ, dass Nintendo die Kernidee jüngst mit „Geist“ gleich noch mal „erfinden“ konnten und „Sacrifice“ ein denkenswerter Ansatz auf das seinerzeit einspurige Strategie-Genre, aber so der richtige Hammer fehlte einfach. Auch den Versuch, den besagten Erdwurm in eine 3D-Welt zu portieren scheiterte furchtbar, wenn der auch nicht von der Firma selbst kam.

Es klang aber auch zu gut. Die genialen Wachowski-Brüder führten Ihre Matrix fort und die Mannen um Videospiel-Guru David Perry machten ein Spiel dazu, dass nicht mal krampfhaft dem Film folgte, sondern vielmehr eine mit dem Film verbundene Nebenhandlung mit eigenen, eigens gedrehten Videos erzählte.
Die Realität allerdings war anders. Die Matrix-Sequels „Reloaded“ und „Revolutions“ ersoffen ziemlich schnell an den Kinokassen und die Reputation der Wachowskis starb schneller als ein Rudel Lemminge an der Steilküste. Und „Enter the Matrix“, das Spiel zur Reihe?

„Enter the Matrix“ ist weitestgehend ein Action-Spiel aus der 3rd Person-Perspektive, bei dem ihr die Filmnebencharaktere Niobe und Ghost übernehmt. Nachdem ihr euch für einen der beiden entschieden habt beginnt das Spiel auch gleich mitten in der Action. Eingangshalle, Säulen, Metalldetektoren und Wachpersonal – alles klar, oder?
Am Anfang macht das Spiel auch schnell Laune. Die Kämpfe sind nicht zuletzt dank einer simplen Steuerung, die an „Final Fight“- und „Double Dragon“-Zeiten erinnert (wiederholtes Drücken einer Taste führt zu abwechslungsreichen Kombos ohne weiteres Zutun des Spielers), leichtgängig und sehen auch noch gut aus.
Und natürlich ist sie da, die Bullet Time. Drückt man die entsprechende Taste, so verlangsamt sich das Spiel, man hat direkte Kontrolle über seine Figure, kann wildere Moves im Kampf anwenden, an Wänden entlanglaufen und Kugeln ausweichen, die dann sogar sichtbar durchs Bild fliegen. Technisch gab es ähnliches schon bei „Max Payne“ zu sehen, aber hier wird wirklich exakt der Nerv der Filmvorlage getroffen.

Für den Rest des Spieles sollte man sich aber Fragen, warum das nicht so blieb. Die Grafik entpuppt sich im weiteren Verlauf als ausgesprochen Trist. Zwar wirkt die Konsolenversion immer noch sauberer als die PC-Fassung (die je nach Grafikkarte sogar mit quadratischen Reifen auftrumpfen kann!), doch trotzdem wirkt ein großer Teil des Spiels abschreckend steril. Grau in grau die niedrig aufgelösten Texturen, zweidimensionale Bitmaps als Geländer und eindeutig zu wenig Polygone für die Darstellungen einiger Figuren.
Dabei ist vor allem erstaunlich, wie groß da die Spannweite ist. Das Chateau aus „Matrix Reloaded“ etwa wurde exakt nachgebaut und begeistert mit diffusem Licht und spiegelnden Bodenflächen – der Baustellenlevel, den man dagegen ziemlich am Ende durchquert, scheint auch in echt nicht ganz fertig geworden zu sein.
Doch auch das Gameplay wirkt unausgereift. Spielt sich der erste Level noch gut, so fragt man sich ab dem zweiten Level, ob der Schwierigkeitsgrad nicht doch irgendwann mal anziehen wird. Das macht er zwar, aber nur partiell. Will sagen, man joggt durch die Level, nur um dann an einem schier unbesiegbaren Endgegner hängen zu bleiben. Die kann man zwar bezwingen, aber man muss sich schon ziemlich ins Zeug legen, nur um danach wieder im Leerlauf durch die Gegen zu rennen.
Auch die Kämpfe werden auf Dauer dann doch irgendwann langweilig. Vor allem das Kraftwerk, durch das man im letzten Drittel des Spieles muss, ist eine ziemliche Ultimativ-Sammlung von Gamedesign-Sünden. Backtracking, ewig gleiche Abschnitte mit ewig gleichen Gegnern zehren an den Nerven des Spielers und an den Möglichkeiten der Spieltechnik.

Bleiben noch die „besonderen“ Level. Derer gibt es drei, von denen zwei mit dem Auto und eines mit dem Hovercraft in der ‚Real World‘ bestritten werden müssen. In allen drei Fällen macht es sich hier am deutlichsten Bemerkbar, welchen Hauptcharakter man gewählt hat, denn Niobe fährt, während Ghost den Bordschützen markiert.
Die Autoverfolgungsjagten sind dabei schon nicht gut geraten. Die Landschaft ist trist, im Falle des ersten Levels dazu auch noch unübersichtlich. Die dramatische Highway-Verfolgungsjagt kann dagegen mit einem furchtbaren Grafik-Bug schockieren, denn legt sich die Kamera in Kurven etwas schief, so neigt sich der Hintergrund nicht, sondern „zerbricht“ in grob einen Zentimeter große Parzellen, die dann entsprechend „schief“ verschoben werden. Wer mal das alte „Out Run“ oder „4D Sports Driving“ gespielt hat, der kennt den Effekt vielleicht noch. Legt man sich ganz schief, so verschwindet die Landschaft kurzzeitig sogar ganz. Bravo!
Unglaublich, aber wahr, der letzte Level des Spiels, in dem man mit dem Schiff der Protagonisten durch die Gänge der Realworld rauscht, ist sogar noch schlechter. Da man in dem Grafik-Matsch ohnehin nichts mehr erkennen kann, drückt man am besten einfach wild irgendwelche Tasten und rüttelt am Analogstick – so jedenfalls habe ich den Level gemeistert.

Das Spiel lockte seinerzeit damit, originale Videosequenzen und sogar einen exklusiven Ausblick auf „Revolutions“ zu bieten. Das ist freilicht im Herbst 2005 ziemlich witzlos. Was also kann man also dem Spiel noch anrechnen?
Eigentlich nichts.

Somit bleibt „Enter the Matrix“ in der Retrospektive eine ziemlich herbe Enttäuschung, fügt sich damit aber natürlich auch gut in den Kanon der Filmsequels. Die Technik des Spiels ist eine rege Zumutung und ich glaube, seit „Ultima X – Ascension“ habe ich kein so unfertiges Spiel mehr gesehen. Die legendären untexturierten Wände des besagten Spiels hat „Enter the Matrix“ zwar nicht, aber es fehlt auch nicht viel dazu.
Es ist schon recht blamabel, dass sich ein Großteil der Optik in etwa auf dem Niveau von „MDK“ bewegt. Klar, das Spiel wirkte seinerzeit bombastisch – aber das 1997!
Die Fahr- und Flugsequenzen sind, wie gesagt, ziemliche Katastrophen und ich hoffe, nie wieder in einem Konsolenspiel eine derartig schlampige Programmierung erleben zu müssen.
Über die Gründe kann man nur spekulieren. Aber da „Enter the Matrix“ geradezu perfekt zum Release von „Reloaded“ im Laden stand, ist zumindest leicht zu erahnen, was Perry und seinen Leuten da im Nacken saß.

Perry. Das ist vielleicht das Traurigste an der ganzen Mär, denn wäre das Spiel von einer unbekannten Firma, so wäre es schon peinlich. Shiny aber waren mal eine ziemliche Prestige-Spieleschmiede, dieses Spiel hier aber ist in vielen Teilen allenfalls auf Freeware-Niveau.
Macht es denn gar keinen Spaß? Schon, für sich genommen kann es sich sogar lohnen, den Titel mal eine Weile zu spielen – nach zwei Tagen ist man ohnehin durch. Nur Geld sollte man keinesfalls für diese Sammlung Programmcode im Betastadium ausgeben.
Zumal es im Actiongenre für alle Systeme bessere Alternativen gibt.

2006 soll dann übrigens mit „Path of Neo“ der zweite Versuch der Jungs von Shiny zum Thema Matrix folgen. Mit besserer Grafik und schönerem Gameplay sowie, endlich, auch der Haupthandlung und Neo als Hauptfigur.
Dann allerdings ohne Dave Perry.
Bleibt zu hoffen, dass dann zumindest ein vollständiges Spiel herauskommt.

„Enter the Matrix“ kann man geschenkt annehmen, wer aber mehr als fünf Euro dafür auslegt, macht einen Fehler.


Action, GameCube – Shiny Entertainment{jcomments on}
Auch für PC, PS2 und X-Box erhältlich