Spirit of the Century - Teil 2: Spirit of the Century

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Teil 2: Spirit of the Century

Die Leute von Evil Hat wollten ein Rollenspiel machen, in dem sie ihre weiterentwickelte (dritte) Version von Fate verwenden konnten, hatten aber wohl nicht die Ambitionen, zu einem neuen System jetzt auch noch ein völlig neues, innovatives Setting zu erfinden. Also entschied man sich für ein Pulp-Action-Spiel und 2006 war Spirit of the Century geboren.

Das Spiel kommt in einem ordentlich verarbeiteten Softcoverband daher, der zum Setting passend im Comicbuchformat gehalten ist, aber immerhin beeindruckende 400 Seiten umfasst.
Bunter Umschlag und innen schwarz-weiß, simples Papier, wie man es von Taschenbüchern kennt, Das Layout beschränkt sich auf einen ordentlichen Satz, uninspirierte Zierbalken, eine Indiana-Jones-mäßige Type für Überschriften und die vereinzelten Bilder von Christian St. Pierre. Die passen insofern zum Setting, dass sie aussehen, als wären sie uralten Comicbüchern der Generation "Sigurd" entsprungen und sind auch handwerklich gut gelungen, aber vom Hocker haut einen so etwas natürlich nicht. Immerhin: Doppeldecker fliegende Gorillas auf dem Cover, wenn das kein Pulp ist...
Im Vergleich zu Layout-Monstern wie den Büchern von WotC oder White Wolf hat der Band natürlich keine Schnitte. Aber man hat durch das Buch hinweg den Eindruck, dass das den Machern bewusst war und sie darum einen großen Ehrgeiz darein gelegt haben, alles andere richtig zu machen.

Das ist ziemlich beeindruckend gelungen, denn für ein Werk, das von drei Leuten geschrieben, drei Leuten (plus einer Internet-Fangemeinde) lektoriert und von einem der drei Autoren gelayoutet wurde, ist das Regelwerk gut strukturiert, extrem angenehm lesbar, mit einem ausführlichen Inhaltsverzeichnis und passendem Index versehen und die Texte ziemlich fehlerfrei.
Das ist etwas, das die große Konkurrenz selten so hinbekommt und man merkt auf jeder Seite, dass viel Liebe in das Buch geflossen ist, ohne dass es an professionellem Können gemangelt hätte. Das sind natürlich auch Qualitäten, die vielleicht nicht dazu führen, dass das Buch in der Vitrine landet, aber die es sowohl zu einem nützlichen Begleiter am Spieltisch als auch zu einer angenehmen Bettlektüre machen. In seiner Klasse ist das Buch auf jeden Fall top.

Inhaltlich gibt es zuerst einmal eine Einführung, die auf einer Seite kurz herunterreißt, was die Autoren unter Pulp und unter Rollenspiel verstehen, bla, aber kurz. Interessant ist der Ansatz, dass Spirit of the Century als "pick-up game" gedacht ist: Nach der Vorstellung der Autoren soll man einfach einmal wild mit dem Freundeskreis Charaktere bauen und wenn Zeit und Lust besteht, treffen sich die, die gerade können mit ihren Charakteren und spielen einen One-Shot durch. Und wenn die das nächste Mal keine Zeit haben, dann spielen halt dann andere wieder einen One-Shot.
Ein Rollenspiel als so eine Art Gesellschaftsspiel anzulegen, bei dem mitmacht, wer gerade Zeit und Lust hat, ist mir bisher so noch nicht untergekommen und ist eine prima Idee für Rollenspieler, die sich eben nicht immer dreimal die Woche treffen können, um Teil hundertsiebenundvierzig der Verdammnis-Kampagne durchzuzocken...

Weiter geht es mit einem kurzen Abriss des Hintergrundes, einem Überblick über das System und der Charaktererschaffung. Auch bei der wurde der "pick-up"-Faktor berücksichtigt: Die Charaktererschaffung ist recht schlank, Konzept, Skills und Stunts verteilen, Stress Tracks ausrechnen, fertig. Dann wird noch in fünf Schritten die Hintergrundgeschichte des Charakters festgelegt, bei jedem Schritt gibt es zwei Aspekte. Schritt 1 ist Kindheit und Jugend, Schritt 2 die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg, Schritt 3 ist das erst Abenteuer des Helden. Schritt 4 und 5 sind Gastauftritte beim ersten Abenteuer eines Mitspielercharakters (man selbst muss sein erstes Abenteuer  dann auch zwei anderen Charakteren zur Teilnahme zur Verfügung stellen), zack! hat man Anfangsmotivation und Gruppenzusammenführung, noch bevor die Würfel ausgepackt sind. Das ist ziemlich spartanisch, aber das Spiel ist ja darauf ausgelegt, schnell mit Freunden ein paar Pulp-Abenteuer zocken zu können, ohne viel Vorbereitung.
Wem das immer noch zu aufwändig ist (etwa weil er neu zur Gruppe kommt und nicht noch am Charakter basteln will, während die andern schon spielen), kann den Charakterbogen auch on the fly ausfüllen: Schreib den Namen auf und zwei Aspekte und wenn es ans Würfeln geht, denk dir den Wert aus und schreib ihn auf deinen Bogen. Ziemlich locker, ziemlich schnell, Zielvorgabe erfüllt.

Nach der Charaktererschaffung werden die einzelnen Spielmechanismen noch einmal kapitelweise genauer erklärt: "Aspects", "How to Do Things", "Skills", "Stunts", "Gadgets and Gizmos".

Die Kapitel "Running the Game" und "Tipps and Tricks" richten sich vor allem an den SL und haben ein paar ziemlich gute Ratschläge sowohl für Neueinsteiger als auch für alte Hasen auf Lager. Kein Scheiß: Ich habe schon lange keine tollen Spielleitertipps mehr irgendwo gelesen, die mich völlig überrascht hätten, aber da das Thema "Spielleiten" ganz extrem auf das Thema "Spielleiten von Pulp-Kurzabenteuern" fokussiert ist, waren da schon ein paar interessante Ideen und Überlegungen dabei. Wer One-Shots spielen will, sollte sich da vielleicht einmal umlesen. Dieser Spielleiterteil umfasst über 110 Seiten und keine davon ist trivial, löblich, dass gerade das doch er fummlige Thema, wie man den Mist jetzt schließlich mit einer Horde Spieler umsetzen soll, sowohl von der Seite "Regeln" als auch "Dramaturgie" und "mit Leuten umgehen" so umfangreich und sinnvoll abgehandelt wurde.

Und danach... Kommt ein Loch. Ein Abenteuerszenario "The Nether Agenda" von 14 Seiten, das so egal und langweilig war, dass ich für die Rezi noch einmal nachlesen musste, um was es im Einzelnen ging. Wie gesagt, völlig ungeil und weder die ausgezeichneten Spielleitertipps noch die besonderen Regelmechanismen des Systems finden hier irgendwie Verwendung. Ein paar Beispielszenarien, die im Spielleiterkapitel in  fünf Sätzen angerissen werden sind besser. Das einzig Gute an dem Ding ist , dass es nur 14 Seiten lang ist, 14 Leerseiten für Notizen währen mir persönlich lieber gewesen...

Dann geht es wieder zurück aufs alte Niveau mit "Secrets of the Century", in der der Hintergrund mit allen Geheimnissen noch einmal für den Spielleiter genau erklärt wird.
An sich ist das Setting ziemlich cool. Die Grundidee ist, dass die Kinder, die am ersten Tag eines neuen Jahrhunderts geboren werden, besondere Menschen sind, die das Schicksal des folgenden Jahrhunderts bestimmen und an allen großen Ereignissen der Weltgeschichte teilnehmen. Der weltweit respektierte "Centurion Club", der nach außen die Fassade eines Gentlemanclubs für Abenteurer und Weltenbummler pflegt, macht es sich zur Aufgabe, diese besonderen Individuen zusammenzubringen und zu unterstützen.
Die Charaktere sind also alle am 1.1.1900 geboren und egal auf welcher Farm in Iowa oder bei welchem indischen Wolfsrudel sie aufgewachsen sind, sie haben alle eine schicke Clubadresse und sind "Centurions" (der Club nimmt natürlich Frauen wie Männer jeder Abstammung und Nation gleichberechtigt auf).

Die Handlung findet in den frühen 20er Jahren statt, die Charaktere sind also alle Anfang zwanzig. Allerdings gibt es zwei große Komplikationen: Einmal geht es auf einen Jahrtausendwechsel zu und neben dem Century Club mit seinen Ambitionen, der Menschheit ein gutes Jahrhundert zu geben, rühren sich gewisse Mächte, denen es nicht um die Jahrhunderte, sondern um die Jahrtausende geht. Und dann ist die vorherige Centurion-Generation (die üblicherweise lange genug lebt, um ihre Nachfolger einzuweisen) größtenteils bei Heldentaten im Weltkrieg umgekommen, weswegen der Century Club geschwächt ist und zahlreiche Centurions sich eher der dunklen Seite zugewandt haben (sprich: Superschurken statt Superhelden). Das Setting ist relativ simpel gestrickt, hat aber doch ein paar nette Ideen und sehr viel Charme, ohne dass diese dem Pulp-Action-Grundgedanken in die Quere kämen...

In dem Hintergrundkapitel für den Spielleiter finden sich außerdem ein ziemlich nützlicher Überblick über die verschiedenen Teile der Welt in den 1920ern, Nationen, Städte, politische Entwicklungen wie Prohibition und Bolschewismus und ein Zeittafel über die Epoche. Das alles natürlich unter dem Gesichtspunkt "Pulpabenteuer", aber an sich sehr gutes und nützliches Material auf 14 Seiten und passend "The Name Dropper's Guide to the Pulp Era" betitelt.

Die letzten Kapitel stellen dann sozusagen den Anhang dar: In "Quick Pick Stunt Pack" gibt es Stuntpakete, wenn man sich mit dem gewaltigen Stunt-Katalog nicht herumschlagen will. Die "Bibliography" enthält Bücher und Filme, die zur Inspiration dienen können, viele bekannt, manche obskur, auf jeden Fall ganz nett. Sehr selbstbewusst fand ich, dass man hier nicht weniger als 15(!) Rollenspiele zusammengefasst hat, die entweder mit Pulp oder den 20ern zu tun haben und zwar von Call of Cthulhu und Adventure! bis hin zu Exoten wie Pulp-Fu und Pulp Zombies. Anscheinend fürchtet man sich bei Evil Hat Productions vor keiner Konkurrenz.
Die "Sample NPCs" sind genau das, sechs fertige Spielercharaktere und drei Schurken zur sofortigen Verwendung.

Abschließend ist noch zu erwähnen, dass Evil Hat einem beim Kauf eines Buches die PDF-Version gratis dazu gibt. Ich persönlich bin nicht so ein großer E-Book-Fan, aber gratis ist es allemal nett. Das PDF eine genaue Kopie des Buches, aber natürlich durchsuchbar und mit elektronischem Inhaltsverzeichnis versehen. Dazu hat Evil Hat eine "Bits and Mortar"-Politik, im Prinzip bedeutet das, dass jeder Rollenspielhändler, der das Buch verkauft, PDF-Kopien bekommen kann, die er dann per USB-Stick oder auf DVD gebrannt oder per E-Mail gratis zum Buch dazugeben kann. Diese Initiative soll vor allem die kleinen Rollenspielgeschäfte unterstützen und sie gilt weltweit. Wenn ihr also Spirirt of the Century irgendwo kaufen wollt, solltet ihr euch nach dem PDF erkundigen, wie gesagt, der Hersteller bietet es gratis dazu, wenn ihr es nicht kriegt, ist euer Händler uninformiert, faul oder betuppt euch.

Spirit of the Century ist eigentlich ein rundum gutes Produkt geworden, wobei die Stärke deutlich eher in dem System als im Setting liegt. Der wirkliche Mangel des Spiels ist, dass ein vielseitiges und starkes System wie Fate mit Spirit of the Century in die recht überfüllte und kleine Pulp-Nische gestopft wurde, obwohl das System deutlich mehr kann. Gerade aufgrund der sehr angenehm zu lesenden Texte und der guten Didaktik des Buches kann ich das Spiel jedem ans Herz legen, der Fate spielen will. Für alle Interessierten ist das SRD des Spiels, das auch den hervorragenden SL-Teil enthält und nur die Setting-Teile, die Beispielcharaktere und natürlich sämtliches Layout und die Illus vermissen lässt, online für jeden verfügbar.


Titel: Spirit of the Century
Originalausgabe
Autoren: Rob Donoghue, Fred Hicks, Leonard Balsera
Verlag: Evil Hat Productions
Seitenzahl: 420
Sprache: Englisch
Preis: $ 30.00 (Print + PDF)

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